Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
verspricht Inger.
»Wenn das alles stimmt, was du uns erzählt hast, dass du Alina gerettet hast und so … dann, na ja, danke«, fügt Silas mit überraschend weicher Stimme hinzu.
Bevor ich auch nur überlegen kann, wie ich mich von ihnen verabschieden soll, haben sie sich bereits abgewandt und sind durch die Tür ins Treppenhaus verschwunden. Ich bin allein.
BEA
Als wir uns die endlos lange Treppe hochschleppen, muss ich meine Augen abschirmen, so sehr reflektiert die Sonne auf der verglasten Fassade. Sollten jemals Aliens auf der Erde landen, dann garantiert in einem Gefährt, das aussieht wie dieses Gebäude: Es wirkt so, als hätte es sich über irgendetwas rübergestülpt und es mit einem einzigen Happs verschlungen, um sich jetzt genüsslich zu rekeln und zu strecken. An der einen Seite des Gebäudes erkennt man noch ein großes rotes Wappen, das wohl eine alte Kanone oder so was darstellen soll.
»Was war das früher mal?«, frage ich.
»Hab ich dir doch erzählt: ein Stadion, in dem Fußball gespielt wurde. Es gibt noch etliche solcher Riesengebäude, überall im Land verstreut.«
»Ich hab’s mir nicht so riesig vorgestellt.«
»Vor dem Switch war Fußball das allerbeliebteste Spiel überhaupt. Tausende von Menschen sind zu den Spielen gegangen und die Mannschaften waren größer als heute.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es irgendwann mal eine Zeit gab, in der die Seconds die gleichen Möglichkeiten hatten wie die Premiums. Dass sie genauso frei waren. Da können wir heute nur von träumen.« Ich strecke meine Arme in Richtung Stadion aus.
»Frei? Ha!«, ruft Maude. »Was heißt schon frei? Klar, wir konnten damals natürlich frei atmen, okay, aber ’ne Zeit, wo wir wirklich frei warn, die gab’s nie. Freiheit bedeutet rein gar nix. Schau dir doch die Geschichte an: Freiheit war immer nur ’n Trugbild, schönes Geschwätz. Die gab’s nie und wird’s nie geben. Menschen sind nun mal so, wie sie sind. Vor allem habgierig. Deshalb konnt’s auch nie so was wie Gleichheit gebn. Frauen zum Beispiel ham nie in diesem Stadion gespielt. Fußballerinnen wurdn nie von riesigen Zuschauermengen bejubelt. Immer nur Männer. Kein Schwein hat’s je interessiert, wie viele Tore beim Frauenfußball geschossn wurdn. Freiheit und Gleichheit sind Hirngespinste, Mädels. Solltet ihr euch merken. Ein für alle Mal. Freiheit? Pah! Dass ich nich lach!«
»Bist du fertig?«, fragt Alina, woraufhin Maude ihr die Zunge rausstreckt.
Es ist schon eigenartig, dass es Alina in keiner Weise zu interessieren scheint, ob die Welt vor dem Switch hässlich und ungerecht war oder nicht. Eine Welt mit atembarer Luft, das ist für sie der Idealzustand, und für dessen Wiederherstellung kämpft sie. Unbeirrt. Falls diese alte Welt nun aber doch nicht so perfekt war, wie Alina sie sich vorstellt, würde das ihren gesamten Kampf infrage stellen.
»Tja, keine Gesellschaft ist fehlerfrei«, räume ich ein.
Wir stapfen die letzten Stufen hoch, aber anstatt auf den Eingang zuzusteuern oder auf das, was wie ein Eingang aussieht, bleiben wir vor einer Betonwand stehen. Alina vergewissert sich mit einem Blick über die Schulter, dass wir nicht beschattet werden, und bedeutet uns dann, ihr zu folgen. Wir umrunden das Gebäude entlang der Betonmauer, in die alle paar Meter eine Stahltür eingelassen ist. Von unserer erhöhten Position aus kommt eine alte Eisenbahnlinie in Sicht – samt Zug. Allerdings liegen die meisten der fensterlosen Waggons auf die Seite gekippt neben den Gleisen.
Plötzlich bleibt Alina stehen, nähert sich einer der Stahltüren, klopft dreimal dagegen, macht eine Pause, klopft zweimal, pausiert und klopft zuletzt noch einmal. Nichts passiert. Alina schaut mich an, dann wiederholt sie das Klopfzeichen: dreimal klopfen, Pause, zweimal klopfen, Pause, einmal klopfen. Wieder nichts.
Ich werfe einen prüfenden Blick auf die Anzeige meiner Sauerstoffflasche und atme tief ein. Ich hab nur noch für eine oder zwei Minuten Luft. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, streckt Alina ihre Hand aus, dreht an meinem Ventil und reduziert die Sauerstoffzufuhr. Wie auf Knopfdruck wird mir schwindelig und ich muss mich an die Mauer lehnen, um nicht umzukippen. Alina klopft erneut.
»Gibt es noch einen anderen Zugang? Vielleicht sind wir an der falschen Tür«, bringe ich heraus, als ich endlich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe.
»Das ist die richtige Tür.«
»Dann versuch’s doch mal mit Rufen.
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