Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
stattdessen spüre ich eine dicke, süßliche Flüssigkeit in meinem Hals und lasse sie aus meinem Mund auf den grauen Asphalt tropfen. Dann nehme ich meine Maske ab, um einzuatmen, was auch immer sich an Sauerstoffmolekülen in der Atmosphäre befindet. Flammen lecken an meinem Hals und meine Lunge explodiert.
Ich kann kaum noch was sehen. Maude und Alina kommen mir wie Geister vor. Vollkommen still.
Ich zische und ich keuche.
Und dann bin ich weg.
QUINN
Als ich mich über die Dachkante beuge, kann ich Silas und Inger unten auf der Straße sehen. Aus dieser Entfernung und mit all dem Schnee ringsum sind sie kaum zu unterscheiden. Es sieht fast so aus, als würden sie sich an den Händen halten. Einer von beiden streckt wild gestikulierend den Arm aus, in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Und im nächsten Moment sind sie schon losmarschiert, strammen Schrittes, ohne sich noch einmal umzusehen. Ich würde ihnen am liebsten etwas hinterherrufen, aber was? Vergesst mich nicht ? Und wenn nun Soldaten in der Nähe sind? Dann würde mein Geschrei nur unnötig die Aufmerksamkeit auf sie lenken. Nein, zu gefährlich.
Entmutigt lasse mich auf das nasse Dach zurücksinken und lande in einer Schneepfütze. Egal, völlig egal. Über das ganze Dach verteilt stehen und liegen schneebedeckte Stühle und Tische und massenhaft Eimer herum, die meisten von ihnen in Reichweite. Der Schlauch, der meine Maske mit dem Solar-Atemgerät verbindet, dürfte gerade mal anderthalb Meter langsein. Ziemlich kurze Leine. Deutlich zu kurz für Dachspaziergänge.
Wie konnte all das nur passieren? Bisher habe ich so gut wie nie über die Luft nachgedacht, die ich zum Atmen brauche, und jetzt vergeht fast keine Sekunde, ohne dass ich mich frage, ob ich genug davon kriege. Für die Seconds muss das der Normalzustand sein. Bea kennt es wahrscheinlich gar nicht anders. Es ist wirklich unglaublich: Bis zum heutigen Tag konnte ich mir nicht vorstellen, was es heißt, nach Sauerstoff zu lechzen. Heute habe ich es am eigenen Leib erfahren. Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt.
»Ruhig, Quinn«, sage ich laut. »Entspann dich.«
Aber Selbstgespräche helfen nichts. Die machen mich nur noch verrückter. Und sind sie nicht womöglich das erste Anzeichen von Wahnsinn?
Das Worst-Case-Szenario wäre, wenn Silas und Inger getötet würden, bevor sie irgendjemandem erklären könnten, wo ich bin. Dann würde ich langsam und qualvoll verhungern, verdursten oder erfrieren.
Nein, stimmt nicht: Das absolute Worst-Case-Szenario wäre, wenn Bea auf diese Weise umkäme – allein und voller Panik. Doch Bea ist zu schlau, um so etwas mit sich geschehen zu lassen. Selbst, wenn sie in meiner jetzigen Situation wäre, würde sie die Ruhe bewahren und nach einer Lösung suchen.
Ich krame einen Proteinriegel aus meinem Rucksack, reiße die Verpackung auf und stopfe ihn mir mit einem einzigen Bissen in den Mund. Es ist mein letzter Riegel und es wäre vielleicht schlauer gewesen, nur ein kleinesStück abzubeißen. Aber wenn ich mir jetzt tatsächlich einen Schlachtplan einfallen lassen soll, dann braucht mein Gehirn Energie.
Ich stehe wieder auf und lasse meinen Blick über die Stadt schweifen. Und da sehe ich es: Ein Konvoi von etwa zwanzig Panzerfahrzeugen rumpelt – paarweise und von Osten, von der Kuppel her kommend – die zerstörten Straßen entlang. Trotz des Schnees und der Schuttberge haben die Panzer ein ziemliches Tempo drauf. Sie zermalmen einfach jedes Hindernis, das sich ihnen in den Weg stellt. Und jetzt nähern sich auch noch Hunderte von Fußsoldaten. Sie marschieren nicht in der Kolonne, sondern schwärmen in kleinen Gruppen aus. Ganz offensichtlich suchen sie etwas. Oder jemanden.
Und immer noch sehe ich Silas’ und Ingers winzige Gestalten, die geradewegs auf die Soldaten zusteuern.
»Silas! Inger! Silas!«, brülle ich.
Für einen Moment bleibt einer der beiden stehen und hält den anderen zurück. Doch dann gehen sie weiter.
»Das Ministerium rückt an!«, schreie ich. »SILAS! INGER!«
Diesmal scheinen sie etwas gehört zu haben, jedenfalls drehen sie sich beide um und blicken zurück in meine Richtung.
»Achtung! Sie kommen! SILAS!«
Die Soldaten sind Silas und Inger ein ganzes Stück näher gekommen. Die beiden stehen jetzt wie angewurzelt da und starren einander an.
»Rennt weg!«, schreie ich, und es ist mir egal, wer mich sonst noch alles hört. »RENNT!«
Und das tun sie. Ohne eine Sekunde zu zögern, stieben sie
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