Brennaburg
selbst Überfälle wurden zuweilen so entschuldigt. Ich hielt solche Reden zuerst für Ausflüchte, gewann aber schließlich den Eindruck, daß sie durchaus aufrichtig gemeint waren. Offenbar fällt es diesem Menschenschlag schwer zu verstehen, daß, wem immer sie Treue geloben, es stets und allein der König ist, dem sie sich auf diese Weise unterwerfen. Dies berücksichtigend, schien es mir notwendig, sie den Eid erneuern zu lassen.«
Stirnrunzelnd hatte ihm Bernhard gelauscht. »Mir ist, als hörte ich jemanden über unsere Vorfahren reden«, sagte er. »Oder von jenen Slawen, mit denen es die Franken vor hundert oder mehr Jahren zu tun hatten. Doch die heutigen? Verzeih, Graf Gero, aber ich habe große Mühe, dir zu glauben.«
Gero blickte nach unten. Alle in diesem Raum wußten, worin seine Aufgabe wirklich bestand, doch war es üblich, dies in Gegenwart des Königs nur dann auszusprechen, wenn man mit ihm im kleinen Kreis an der Tafel beisammen saß. Ansonsten war es Brauch, die Besetzung der Burgen nach wie vor als eine Maßnahme zu bezeichnen, die lediglich dem Schutz vor weiteren Überfällen dienen sollte. Und sosehr Otto ein offenes Wort zur rechten Zeit schätzte, so sehr konnte er es einem auch verübeln, wenn man von jenem Grundsatz ohne Not abwich. Was galt in diesem Fall? Die geringe Zahl der Anwesenden hätte es zweifellos gestattet, kein Blatt vor den Mund zu nehmen; andererseits waren sie nicht zu einem Gelage zusammengekommen, sondern um über ihn zu richten. Nach kurzem Besinnen entschied der Graf daher, sich Zurückhaltung aufzuerlegen.
»Ich begreife dich gut, Herr Bischof«, erwiderte er. »Versuche indes, mich ebenfalls zu begreifen. Wie kann ich wissen, ob jemand den Einfältigen bloß spielt oder tatsächlich einfältig ist? Bedenke zudem meinen Auftrag: Vergeltung so zu üben, daß ich damit nicht einen Aufruhr hervorrufe. Zwar ist bei den Slawen an Männern, die sich in unseren Augen schuldig oder verdächtig gemacht haben, wahrlich kein Mangel. Doch was hilft das, wenn sie es nicht auch in denen ihrer Landsleute sind? Dann nämlich erscheint die Besetzung einer Burg nicht mehr als harte, aber gerechte Strafe, sondern als mutwilliger Übergriff. Darum beschloß ich: Laß sie, da sie es nicht anders wollen, also noch einmal schwören; so nimmst du ihnen jeden Vorwand, sich dir zu widersetzen.«
Er hielt inne und fuhr fort: »Deine hohe Meinung über sie in allen Ehren, doch nicht ein einziger von ihnen äußerte zu meinen Boten, daß er meinen Wunsch sonderbar oder unsinnig fände. Außerdem hoffte ich, auf diese Weise wenn nicht unsere Freunde, so zumindest unsere entschiedensten Feinde kennenzulernen. Wer sich mit unserer Vorherschaft abgefunden hat, sagte ich mir, dem wird es nichts ausmachen, den Eid zu wiederholen; wer sich sträubt, sinnt vermutlich auf Empörung. In diesem Punkt, das gebe ich zu, habe ich mich freilich geirrt.«
»Du stehst vor Gericht, Graf Gero«, bemerkte der König. »Über deine Handlung zu urteilen, obliegt daher nicht dir … Bist du mit der Antwort des Grafen zufrieden?« wandte er sich an Bernhard.
»Ich bin es, Herr König«, entgegnete der Bischof. »Erlaubst du, daß ich ihm zwei weitere Fragen stelle?«
»Bitte.«
»Wie man hört, Graf Gero, sollen noch einige Fürsten der dir anvertrauten Landschaft unter den Lebenden weilen. Was hinderte dich eigentlich daran, auch sie in den Genuß deiner Gastfreundschaft gelangen zu lassen?«
»Die geringe Größe meines Hofes.«
»Ich verstehe. Dann zu der zweiten Frage: Wie lauteten jene Äußerungen, die Graf Thietmar und dich befürchten ließen, daß die Slawen einen Anschlag planten?«
Abermals senkte Gero den Kopf. »Ich vermag mich nicht mehr genau zu erinnern«, sagte er nach einer Pause mürrisch.
»Nicht Wort für Wort, lieber Freund. Versuche lediglich, uns eine ungefähre Vorstellung von ihrem Inhalt zu vermitteln.«
Gero blieb stumm.
»Was ist! Hast du mich nicht verstanden?«
»Es handelte sich um Beleidigungen. Fordere nicht von mir, sie zu wiederholen.«
Nachdem Gero das gesagt hatte, sandte er einen raschen Blick zu den Männern vor ihm. Ihre Mienen hatten sich belebt, und sogar auf das Gesicht von Wichmann, der bisher den Anschein erweckte, als ob ihn die Befragung tödlich langweilte, trat ein Ausdruck von Erstaunen.
Der Graf frohlockte innerlich. Wichmann vor allem war es, um dessentwillen das Verhör stattfand, denn ihm würden alle jene glauben, die mit dem König haderten.
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