Brennaburg
dich empfangen und anhören, doch bin ich ermächtigt, dich als Zeichen seiner Huld bereits heute von ihm zu grüßen. Sei also guter Hoffnung. Da seine Zeit knapp bemessen ist, empfiehlt es sich, daß du deinen Vortrag nicht über Gebühr ausdehnst. Um dich zu befähigen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden, werde ich dich, sobald du erwacht bist, noch einmal aufsuchen und alles Notwendige mit dir bereden. Für heute mag es genug sein. Iß und trink, und danach schlafe dich aus. Der Herr schenke dir eine gesegnete Nacht.«
Im Schritt ging es den Burgberg hinauf. Die Hufe der Pferde versanken in einer dicken Laubschicht, die der Wind zwischen den Mauern beiderseits des Weges angehäuft hatte.
Mit vollen Zügen, so, als atme er zum erstenmal in seinem Leben, sog der Graf die klare, kalte Luft in sich ein. Alles um ihn herum erschien ihm ungewöhnlich: die Stille, die kahlen Äste der tagelang vom Sturm gezausten Bäume, die rötliche Abendsonne, die er seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen zu haben meinte. Sogar seine Begleiter dünkten ihn bemerkenswert: vier gepanzerte Männer, die jeweils zu zweit vor und hinter ihm ritten. Schweigend und ohne nach rechts oder links zu sehen, saßen sie im Sattel, erkundigten sich indes sofort nach seinen Wünschen, sowie er sich bloß räusperte oder einen von ihnen betrachtete.
Fast lautlos öffnete sich das Tor; keinerlei Knarren oder Kratzen war zu vernehmen. Gero entsann sich an das, was ihm Werner erzählt hatte: daß der König neuerdings – wie sein Vater – eine Abneigung gegen überflüssige Geräusche entwickelt habe; es sei deswegen geraten, sich ihm ohne Sporen zu nähern.
Im Hof war es blitzsauber. Nirgendwo lagen ein Blatt oder ein Zweig. Daß dies kein Zufall war, zeigte sich sogleich: Nachdem sie von den Pferden gestiegen waren, hob eines der Tiere den Schweif, und noch ehe es sein Geschäft beendet hatte, eilten schon Leute herbei, die den Kot in Eimer schaufelten.
»Hier entlang, Herr Graf«, sagte einer der Gepanzerten gedämpft.
»Ich weiß, mein Freund«, erwiderte Gero. Er winkte einen Roßknecht heran und befahl diesem, ihm die Sporen abzuschnallen. Während sich der Mann an ihm zu schaffen machte, fiel Geros Blick auf die Pfalzkirche, unter deren Hauptaltar die sterbliche Hülle König Heinrichs ruhte. Als der Knecht fertig war, lief der Graf auf sie zu und verharrte vor ihr in andächtiger Stellung. Danach ließ er sich von seinen Begleitern zu dem steinernen Gebäude führen, in welchem Otto während seines Aufenthaltes in Quedlinburg zu wohnen pflegte …
Der Raum, in den man ihn eintreten hieß, lag auf der anderen Seite des Hauses. Er war von nur mittlerer Größe, wirkte jedoch, da er fast leer war, beinahe wie ein kleiner Saal. Die Wände wiesen noch keinerlei Rußspuren auf, und auch den Dielen sah man an, daß er bisher selten benutzt worden war. Unter jeder der wohl an die drei Dutzend Fackeln befand sich ein längliches Gefäß, das das herabtropfende Wachs auffangen sollte.
König Otto, angetan mit einem ledernen Jagdgewand, saß an der Stirnseite auf einem mit geschnitzten Tierköpfen verzierten Stuhl. Bei Geros Erscheinen lehnte er sich zurück und schlug die Beine übereinander. Zu seiner Rechten stand Bischof Bernhard. Über einer langen blütenweißen Tunika trug er eine Stola sowie ein violettes Pluviale. Der untersetzte, rotgesichtige Mann neben ihm war Poppo, der bereits Ottos Vater als Kanzler gedient hatte. Links vom König schließlich, ebenfalls ganz in Leder gekleidet und wie dieser ohne jeden Schmuck, eine hochgewachsene Gestalt mit Habichtsnase: Wichmann, der Bruder des zweiten Legaten, seit etlichen Wochen wieder mit Otto versöhnt. Ein Stück entfernt von der Gruppe standen Werner und, hinter einem Schreibpult, der königliche Notar Adalmann.
Der Graf verneigte sich. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, nickte ihm Otto zu, und Gero trat näher. Otto umfaßte die Tierköpfe an den Armstützen seines Stuhles, beugte sich vor und schaute ihn durchdringend an.
»Graf Gero, auf dir lastet ein Vorwurf, der uns alle tief betrübt«, sagte er. »In deinem Haus, so wird behauptet, hätten Gäste den Tod gefunden, und zwar von der Hand deiner Männer. Werner, den ich mit der Untersuchung dieses Vorfalls betraute, berichtete mir, daß du dies nicht bestrittest, jedoch der Ansicht wärst, daran ohne Schuld zu sein. Die Wahrheit deiner Darstellung zu erhärten, bist du hier. Um zu einem gerechten Urteil zu
Weitere Kostenlose Bücher