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Brennen Muss Salem

Brennen Muss Salem

Titel: Brennen Muss Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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kicherte.
    Jetzt sagte June Petrie: »Glaubst du, es hat ihn sehr berührt?«
    »Schwer zu sagen.« Der Vater schwieg einen Augenblick lang, und Mark wußte, daß er sich jetzt eine Pfeife anzündete.
    »Er hat ein echtes Pokergesicht.«
    »Aber stille Wasser sind tief.« Sie hielt inne. Die Mutter sagte immer Sachen, wie »stille Wasser sind tief«, oder »Morgenstund hat Gold im Mund«. Mark liebte seine Eltern sehr, aber manchmal schienen sie ihm so schwerfällig zu sein wie manche Bücher in der Bibliothek . .. und ebenso verstaubt.
    »Sie waren auf dem Weg zu Mark«, nahm seine Mutter den Faden wieder auf, »um mit seiner elektrischen Eisenbahn zu spielen .. . und jetzt ist der eine tot und der andere ist ver
    schwunden. Mach dir nichts vor, Henry. Der Junge fühlt etwas.«
    »Er steht mit beiden Beinen auf der Erde«, sagte Mr. Petrie.
    »Wie immer seine Gefühle sind, er kann sie beherrschen.«
    Mark klebte dem Frankenstein-Monster den linken Arm in die Achselhöhle. Es war ein spezielles Modell, das in der Dunkelheit grün leuchtete, nicht anders als der Plastik-Jesus, den er in der Sonntagsschule als Geschenk bekommen hatte, weil er den ganzen 119. Psalm auswendig gewußt hatte.
    »Ich denke mir manchmal, wir hätten noch ein Kind haben sollen«, sagte sein Vater. »Unter anderem wäre es auch gut für Mark gewesen.«
    Darauf die Mutter, spöttisch: »An Versuchen hätte es ja nicht gemangelt, mein Lieber.«
    Sein Vater murmelte etwas vor sich hin.
    Im Gespräch seiner Eltern entstand eine lange Pause. Mark wußte, daß sein Vater jetzt im ›Wall Street Journal‹ blätterte.
    Seine Mutter hielt vermutlich einen Roman von Jane Austen in der Hand, oder vielleicht einen von Henry James. Sie las diese Romane wieder und wieder, und Mark ging es absolut nicht ein, wie man ein Buch öfter als einmal lesen konnte.
    »Glaubst du, kann man ihn in den Wald hinterm Haus gehen lassen?« fragte seine Mutter unvermittelt. »Man behauptet, es gäbe irgendwo Treibsand –«
    »Meilenweit von hier entfernt.«
    Mark entspannte sich ein wenig und klebte dem Monster den zweiten Arm an. Er hatte den ganzen Tisch voll von Horror-Figuren, und jedesmal wenn ein neues Monster hinzukam, wurde die gesamte Szene neu gestellt. In Wahrheit wollten Danny und Ralphie damals kommen, um sich diese Figuren anzusehen, als ...
    »Ich glaube, man kann ihn gehen lassen«, sagte sein Vater.
    »Natürlich nicht nach Einbruch der Dunkelheit.«
    »Jedenfalls hoffe ich, daß er nach diesem Begräbnis keine Alpträume bekommt.«
    Mark konnte beinahe sehen, wie sein Vater die Achseln zuckte. »Der arme Tony Glick ... Aber Schmerz und Tod gehören zum Leben. Jeder muß das einmal erfahren.«
    »Vielleicht.« Wieder eine lange Pause. Was kommt jetzt?
    Vielleicht: »Jeder Schritt im Leben ist ein Schritt dem Tod entgegen«? Mark klebte das Monster auf seine Basis; sie war ein Grabhügel mit einem Stein im Hintergrund. »Ob arm oder
    reich, der Tod macht alle gleich. Vielleicht werde ich Alpträume haben.«
    »Tatsächlich?«
    »Dieser Mr. Foreman ist beinahe ein Künstler. Der Junge sah aus, als schlafe er nur. Als könne er jeden Moment die Augen aufschlagen und .. . ich verstehe nicht, warum die Leute sich mit einem Gottesdienst vor dem offenen Sarg quälen. Es ist ... geradezu heidnisch.«
    »Nun, jetzt ist jedenfalls alles vorüber.«
    »Ja. Er ist ein guter Junge, nicht wahr, Henry?«
    »Mark? Der Beste.«
    Mark lächelte.
    »Was gibt's im Fernsehen?«
    »Ich werde nachsehen.«
    Offenbar war das ernste Gespräch nun beendet. Mark stellte seine Figur zum Trocknen ans Fenster. In etwa einer Viertelstunde würde seine Mutter heraufrufen und ihn ins Bett schicken. Er nahm seinen Pyjama aus der obersten Lade und zog sich aus.
    Seine Mutter machte sich übrigens ganz unnötige Sorgen über seinen Seelenzustand. Mark war nicht besonders sensibel und hatte auch keinerlei Grund dazu; abgesehen von seiner Grazie und seiner Geschicklichkeit war er ein durchaus normaler, recht robuster Junge. Seine Familie gehörte dem gehobenen Mittelstand an und tendierte auf der gesellschaftlichen Stufenleiter nach oben. Seine Eltern führten eine gesunde Ehe, bestimmt von inniger Liebe, aber auch von ein wenig Langeweile. In Marks Leben hatte es bislang kein traumatisches Erlebnis gegeben. Die Raufereien in der Schule hatten keine Narben hinterlassen; er vertrug sich mit seinen Kameraden, und im großen und ganzen wollte er das gleiche, was sie alle wollten.
    Wenn es etwas

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