Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennen Muss Salem

Brennen Muss Salem

Titel: Brennen Muss Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
brauchte.
    Die Sonne war jetzt auch vom Marstenhaus weggewandert und berührte nur noch die höchsten Spitzen der Tannen im Westen der Stadt. Sogar mit geschlossenen Läden schien das Haus Mike anzustarren.
    Plötzlich sprang Mike Ryerson in das Grab und begann, es wieder auszuschaufeln. Wie in kleinen braunen Explosionen kam die Erde herausgeflogen. Endlich stieß der Spaten auf Holz. Mike kniete vor dem Sarg und schlug auf das Messing-schloß ein.
    Unten beim Bach hatten die Frösche zu quaken begonnen, und irgendwo in der Nähe ließ ein Ziegenmelker seinen schrillen Ruf erschallen.
    Achtzehn Uhr fünfzig.
    »Was tue ich?« fragte sich Mike. »Was, um Himmels willen, tue ich denn da?«
    Er kniete auf dem Sargdeckel und versuchte, zu überdenken, was er tat... Aber etwas in seinem Innern trieb ihn zur Eile an.
    Schnell, schnell, die Sonne geht unter -
    Dunkelheit, überrasch mich nicht hier.
    Noch einmal hob Mike den Spaten und ließ ihn auf das Schloß herabsausen. Etwas schnappte, das Schloß ging in Stücke.
    Mit einem letzten Schimmer der Vernunft sah Mike einen Augenblick lang auf; sein Gesicht war von Schweiß bedeckt und mit Schmutz beschmiert, die Augen quollen wie zwei wei
    ße Kugeln daraus hervor.
    Der Abendstern zeigte sich am Himmel.
    Ächzend schwang Mike sich aus dem Grab, legte sich der Länge nach nieder und versuchte, den Sargdeckel hochzuheben.
    Der Deckel schwang nach oben, ließ zuerst das rosa Seidenkissen sehen, dann einen Arm und dann . .. das Gesicht.
    Mike hielt den Atem an.
    Die Augen waren offen. Mike hatte es gewußt. Weit offen standen die Augen, und sie waren nicht glasig. Im letzten Licht der Dämmerung schienen sie von einer boshaften Lebendigkeit erfüllt zu sein. Das Gesicht des Jungen zeigte keine Totenbläs-se; die Wangen waren rosig, beinahe strotzend von Vitalität.
    Mike versuchte, seine Augen von diesem funkelnden, eisigen Blick zu lösen, aber es gelang ihm nicht.
    »Jesus Christus -« murmelte er.
    Die Sonne verschwand hinter dem Horizont.
    Mark Petrie arbeitete in seinem Zimmer an einem Modell des Frankenstein-Monsters und hörte gleichzeitig dem Gespräch seiner Eltern im Wohnzimmer zu. Marks Zimmer lag im zweiten Stock eines Bauernhauses, das die Eltern an der South Jointer Avenue gekauft hatten. Obwohl das Haus jetzt eine moderne Ölheizung besaß, war der alte Kamin, der früher die Wärme des Küchenofens in den zweiten Stock geleitet hatte, immer noch vorhanden. Jetzt diente er einem neuen Zweck - er diente Mark als Schallröhre.
    Obwohl die Eltern einen Stock tiefer, im Wohnzimmer sa
    ßen, klang es, als ob sie sich vor Marks Türe unterhielten.

    Mit zwölf Jahren war Mark Petrie etwas kleiner als der Durchschnitt und sah eher zart aus. Doch er bewegte sich mit einer Leichtigkeit und Grazie, die bei Jungen seines Alters, die zumeist nur aus Knien und Ellbogen bestehen, keineswegs häufig ist. Er hatte eine helle, fast milchweiße Haut, und Züge, die jetzt noch ein wenig mädchenhaft wirkten; später einmal würde man sie als scharf geschnitten bezeichnen. Marks Äußeres hatte ihm bereits vor dem Zwischenfall mit Richie Boddin im Schulhof Schwierigkeiten bereitet, und er hatte alsbald das Problem
    »analysiert«. Raufer waren zumeist groß, häßlich und ungeschickt. Sie flößten ihrer Umwelt Angst ein, weil sie verletzen konnten und mit schmutzigen Tricks kämpften. Hatte man keine Angst, ein wenig verletzt zu werden, und war man bereit, ebenfalls schmutzig zu kämpfen, dann konnte man mit einem Raufer fertig werden. Richie Boddin war der erste, der seine Theorie bestätigt hatte. Er hatte sich sogar mit dem Raufbold der Kittery-Elementary-School eingelassen. (Was eine Art von Sieg bedeutete; der Rauf er von Kittery hatte, blutig geschlagen, aber ungebrochen, seinen Schulkameraden verkündet, daß er und Mark Petrie schließlich Freunde geworden seien. Mark, der diesen Raufbold aus Kittery für ein dummes, ekliges Stück Scheiße hielt, widersprach ihm nicht. Er wußte, was Diskretion ist.) Mit Raufbolden zu diskutieren war sinnlos. Verletzen, das war die einzige Sprache, die von den Richie Boddins der ganzen Welt verstanden wurde, und deshalb - so meinte Mark - hatte man es auf der Welt so schwer. Nach dem Kampf mit Richie hatte man ihn nach Hause geschickt und sein Vater war sehr böse gewesen, bis Mark ihm sagte, daß Hitler doch im Grunde genau so gewesen sei wie Richie Boddin. Darüber mußte sein Vater unbändig lachen, und auch die Mutter

Weitere Kostenlose Bücher