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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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verteilte sie Lidschatten auf die Wange.
    »Ich, ich ... Idiotin. Ich hing ihm sofort am Hals. Küsste ihn und herzte ihn. Lachte und war so glücklich. Ich dumme Pute. Es war, als würde man einen Eisberg umarmen.«
    Sie sah ihn an, und Dengler fand, dass sie gut aussah. Sehr gut sogar.
    »Ich also: Komm erst mal rein. Er geht mit mir in die Küche. Ich köpfe eine Flasche Saint Emilion. Grand Cru natürlich. 1998. Hatte mir meine Mutter mal geschenkt. Ich hab sie aufgehoben für besondere Anlässe. War ja auch einer.«
    Sie schniefte und fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase.
    »Wo kommst du her, frage ich ihn. Er schüttet den Rotwein runter wie nix. Ohne mit mir anzustoßen. Mein Tropfen für besondere Anlässe! Aber ich sage immer noch nichts. Wo kommst du her, frage ich ihn noch einmal. Keine Reaktion. Schenkt sich noch ein Glas Wein ein. Randvoll. Und kippt ihn runter. Einfach so. Wie Wasser. Da wusste ich, dass irgendwas nicht stimmte.«
    Ihre rechte Hand spielte mit den Knöpfen ihrer Strickjacke. »Ich schalte also um auf verständnisvolle Ehefrau. Jetzt stoß erst mal mit mir in Ruhe an, sage ich und fülle sein Glas nach. Wir haben dann tatsächlich angestoßen wie halbwegs zivilisierte Menschen. Und er trank auch nur das halbe Glas leer. Und ich legte meine Hand auf seinen Arm. Also, Schatz, hast du Hunger? Keine Antwort. Willst du die Kinder sehen? Keine Antwort. Wo kommst du her?«
    Stille. Dengler überlegte, ob er etwas sagen sollte, entschloss sich dann aber zu schweigen.
    »Er sah mich plötzlich mit großen Augen an, so als hätte er mich gerade in diesem Augenblick erst wahrgenommen. Nie werde ich das vergessen, diesen erstaunten Blick. Unddann sagte er zwei Worte. Die einzigen beiden Worte, die er
    an diesem Abend sagen würde.«
    Jetzt weinte sie. Tränen rollten ihr aus den Augen, liefen über
    ihre Wangen, manche verfingen sich in ihren Mundwinkeln,
    um dann über das Kinn hinunter zum Hals zu laufen.
    »Wie hießen diese beiden Worte?«, fragte Dengler leise. »Wo
    kam Ihr Mann her?«
    Nun sah sie ihn erstaunt an.
    Ihr Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Dengler kam
    es vor, als würde sie Kraft sammeln.
    »Kandahar. Afghanistan.«

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    Sehnsucht
    Dengler stellte den Wagen auf dem Parkplatz am Olgaeck ab. Es ging alles ganz einfach. Er öffnete den kleinen Tresor mit der Karte und steckte den Wagenschlüssel in den dafür vorgesehenen Slot. Das war's. Nun kam er sich schon fast vor wie ein alter Stadtmobilbenutzer.
    Kandahar, Afghanistan – mehr hatte Sarah Singer nicht gesagt. Danach konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Dengler hatte eine Weile seine Hand auf die ihre gelegt, ihr in der Küche ein Blatt von der Küchenrolle abgerissen, mit dem sie sich die Tränen trocknete. Dann war er gegangen.
    Viel zu wenig Informationen, um sich auf die Suche nach ihrem Mann zu machen. Er musste sie noch einmal besuchen.
    Das Basta war voll, alle Tische besetzt, und an der Bar standen die Gäste in zwei Reihen. Als der kahlköpfige Kellner ihn sah, hob er die Flasche mit dem Bickensohler Grauburgunder, aber Dengler schüttelte den Kopf. Er war nicht zum Trinken aufgelegt. Seine Augen durchsuchten den Raum. Als ihm bewusst wurde, dass er Olga suchte, ging er wieder hinaus.
    Nach nur zwei Schritten stand er an der Eingangstür seines Wohnhauses, schloss auf und stapfte die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sich Büro und Wohnung befanden. Noch auf der Treppe stellte er sich vor, dass er gleich unter Olgas Tür einen Lichtschimmer sehen würde. Vorsichtig würde er dann die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufgehen, leise klopfen, und sie würde öffnen und erstaunt tun, so als habe sie ihn nicht erwartet.
    All dies malte er sich aus, als er die Treppen in den ersten Stock hinaufstieg. Vor seiner Wohnung blieb er stehen undwartete mit dem Schlüssel in der Hand, bis das Flurlicht ausging. Und erst als es verloschen und im Treppenhaus dunkel war, sah er zu ihrer Tür.
    Kein Lichtschimmer von oben. Nichts.
    Olga war noch nicht zurück. Natürlich nicht.
    Dengler öffnete die Tür zu seiner Wohnung. Was sollte er tun? Er ging in sein Büro und fuhr den Rechner hoch. Am besten wäre es, wenn er die Notizen aus dem Gespräch mit Sarah Singer gleich in den Computer übertragen würde. Und während der Rechner noch leise vor sich hin gurgelte und in aller Gemächlichkeit ein Symbol nach dem anderen auf den Bildschirm zauberte, ging Georg in die Küche. Auf dem Tisch stand noch die

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