Brennende Kälte
Flasche Brunello von gestern Abend. Er goss sich ein Glas ein, und in diesem Augenblick fiepte das Handy in seiner Hosentasche. Eine SMS.
Komme schon morgen. Freue mich. Olga.
Er nahm das Glas und ging hinüber zum Fenster.
Was für ein Glückspilz ich bin, dachte er. Morgen kommt sie.
Freude erfüllte ihn, und er dachte, sie müsse von ihm abstrahlen bis hinunter auf die Straße. Sie kommt! Endlich. Er hatte das Gefühl, ganz leicht zu sein und ganz glücklich.
Nur einmal streifte kurz der Akt auf Sarah Singers Staffelei sein Bewusstsein, dann war er wieder ganz bei Olga. Er trank einen Schluck Rotwein und ging hinüber zum Computer.
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Olgas Rückkehr
Es gibt leichte Tage, und es gibt schwere Tage. Das ist normal. Die leichten Tage sind in der Regel seltener, aber dieser Tag war für Georg Dengler definitiv einer der guten, einer der leichten Tage.
Er schlug die Augen auf und war wach. Olga kommt zurück. Das war der erste Gedanke. Kein Schweben zwischen irgendwelchen Traumwelten. Kein mühseliges Abstreifen eines unangemessenen Traumes. Die Decke zurückgeworfen. Keine Liegestütze. Heute nicht. Musik. Blues. Junior Wells. Ab ins Bad. Olga kommt heute zurück. Alles andere war unwichtig. Er pfiff vor sich hin, als die kleine silberne Espressokanne auf der Gasflamme schnorchelte. Kein lastendes Zeitgefühl. Die Zeit verging genau im richtigen Tempo.
Bis das Telefon klingelte.
Mit einer eleganten Bewegung zog er den Hörer von der Ladestation.
Es war seine Mutter. Warum er sie so lange nicht mehr besucht habe? Nicht einmal Zeit für einen Anruf finde er. Ob er sie denn völlig vergessen habe? Ein Anruf, das müsse doch zu machen sein. Ob das denn zu viel verlangt sei? Er hielt den Hörer in die Höhe, weit weg vom Ohr.
Die Zeit verging plötzlich ganz langsam.
Zum Schluss versprach er, sie übermorgen zu besuchen.
Wütend über sich selbst legte er auf.
Dann schaltete er den Rechner ein und überflog die Aufzeichnungen, die er bei dem gestrigen Gespräch mit Sarah Singer notiert hatte.
Im Grunde weiß ich noch viel zu wenig von meiner Zielperson, sagte er sich. Er war gestern Abend noch eine Weile bei Sarah Singer sitzen geblieben, die nicht mehr aufhörte zu weinen. Er hatte sich überlegt, ob er sie in den Arm nehmensollte, aber sie schluchzte so laut, und ihr Körper zuckte, dass dies wohl keine gute Idee gewesen war. Er war stattdessen in die Küche gegangen, hatte ein Blatt von der Küchenrolle abgerissen. Wichtige Fragen waren noch nicht gestellt.
Er würde sie noch einmal besuchen. Vielleicht sogar noch zweimal.
Plötzlich sah er sie nackt vor sich. In der gleichen Pose wie auf dem Akt in ihrem Wohnzimmer.
Konzentrier dich, dachte er. Konzentrier dich auf die wichtigen Fragen. Es sind ohnehin immer die gleichen.
Freunde, Verwandte, Kollegen – in diesem Fall nannte man sie wohl Kameraden, die ihm Unterschlupf gewähren konnten.
Geld. Wie viel Geld hatte Singer bei sich, als er aus dem Hamburger Lazarett türmte? Hatte er seitdem Geld abgehoben? Wenn ja, konnte man über die Finanztransaktionen seine Spur verfolgen?
Er schrieb auf einen Zettel die nächsten Schritte.
Singers Dienststellen anrufen. Wurde er von den Feldjägern gesucht?
Im Hamburger Krankenhaus anrufen. Er musste etwas über seine Krankheit herausfinden.
Hatte Florian Singer einen Wagen? Wenn ja, wo war der jetzt?
Frage um Frage notierte er sich. Schrieb einen neuen Zettel mit der Liste der Telefonate, die er führen musste. Schrieb einen Zettel mit den Fragen an Sarah Singer. Schrieb und schrieb und sah plötzlich auf.
An der Tür stand Olga und sah ihm zu.
Sie lächelte.
»Ich habe geklopft«, sagte sie, »aber du hast mich nicht gehört.«
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Nichts verlernt
Später lagen sie in seinem Bett, erschöpft, die Luft schwer von ihrem Geruch.
Er lag auf dem Bauch, sie auf dem Rücken. Sein rechter Arm ruhte auf ihr.
»Ich dachte schon, ich hätte es verlernt«, sagte er.
»Das dachte ich manchmal auch«, sagte sie.
Er lachte erst nach einer kleinen Verzögerung.
Er nahm ihre rechte Hand in die seine.
»Ich habe ein Angebot für einen Job. Danach hätte ich ausgesorgt – wurde mir gesagt.«
»Das klingt interessant«, sagte sie schläfrig.
Er beschloss plötzlich, ihr nicht mehr zu erzählen. Dass er eine Bürgerinitiative bespitzeln sollte, hätte sofort zum Streit geführt. Sie hätte ihm heftige Vorwürfe gemacht. Aber andererseits – wenn er ausgesorgt hätte, bräuchte sie nie wieder auf
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