Brennende Kälte
Pension verzehrend, schrieb später in einem Buchbeitrag, die Sondertruppe stehe in der direkten Nachfolge einer Nazi-Elitetruppe, der »Division Brandenburg«. Den größten Skandal und sogar einen Bundestagsuntersuchungsausschuss löste der Fall Kurnaz aus. US-Streitkräfte entführten den in Bremen geborenen Murat Kurnaz nach Kandahar und später in das berüchtigte Gefängnis Guantanamo. Kurnaz versicherte glaubwürdig, er sei in Kandahar von Soldaten der deutschen Spezialtruppe misshandelt worden. Das Verteidigungsministerium verschleppte die Herausgabe von wichtigen Akten und erklärte dann, diese seien »versehentlich vernichtet« worden.
Dengler fand dann im Internet einen Chat, in denen sich Soldaten der Einheit austauschten. Sie gaben sich Pseudonyme wie »Der weiße Hai« oder »Kandak«, sie verwendetenErkennungszeichen wie drei Totenköpfe, die an die SS erinnerten, Wahlsprüche wie: Frauen sollten immer Weiß tragen – wie alle anderen Haushaltsgeräte auch.
Meistens ging es darum, bei Söldnerfirmen wie der amerikanischen Blackwater unterzukommen, viele ließen mehr oder weniger dummes und rechtsradikales Gesülze ab. Es war ein trauriges Forum.
Dengler erfüllte es mit Genugtuung, dass sein alter Blutsbruder bei einer solchen maroden Truppe gelandet war.
Er hatte mit ihm eine Rechnung offen. Eine große Rechnung.
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Zweiter Bericht: Der Ziegenhirte
Manchmal ist es zum Verrücktwerden. Wenn du hier die Zeitungen liest oder Fernsehen siehst, denkst du, dass ... Es ist wie in einem falschen Film. Die Leute hier glauben, dort unten ginge es darum, der Bevölkerung gegen ein paar verrückte Taliban zu helfen. Die Soldaten würden Schulen bauen und Krankenhäuser, als wären wir so eine Art Entwicklungshelfer. In Wirklichkeit besetzen wir das Land ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Die werden unterworfen. Einmal lagen wir in den Bergen. Wir sollten eine Straße beobachten und jede Bewegung darauf melden. War ziemlich hoch. 3500 Meter. Per Hubschrauber wurden wir raufgebracht, marschierten dann aber zwei Stunden, bis der amerikanische Leutnant fand, dies sei der richtige Platz. Getarnte Stellung. Lagen da zwei, drei Stunden. Plötzlich meckerte es um uns rum. Richtiges Meckern. Mäh, mäh, mäh. Scheiße, eine Ziegenherde. Eine Geiß knabberte an einer Tarndecke. Wir warfen Steine nach den Viechern. Nützte nichts. Und plötzlich stand auch der Ziegenhirte vor uns. Ich seh ihn noch wie damals. Braunes Gesicht. Völlig zerfurcht. Würdig irgendwie. Braune Augen. Wach und glänzend. Weißer Bart bis zur Brust. Turban. Er lachte uns an, bückte sich zu einem der Amerikaner runter. Salem aleikum, sagte er und lachte freundlich.
Scheiße, für uns ist das echte Scheiße. Enttarnt. Theoretisch müssen wir unsere Position wechseln. Wir liegen auf 3500 Metern Höhe. Die Luft ist dünn. Und unser Gepäck können wir schon im Tal kaum schleppen. Hier oben in der dünnen Luft ist es die Hölle. Aber wenn wir enttarnt sind, müssen wir abziehen. Neue Stellung beziehen. Das Gepäck noch mal ein paar Kilometer schleppen. Ich sehe noch den amerikanischen Offizier vor mir. Er gibt einem seiner Soldatenein Zeichen. Nur kurz. Aus den Augenwinkeln. Der schraubt den Schalldämpfer drauf. Hebt kurz an und ... Plopp! ... in die Schläfe. Der Hirte kippt um. Die Ziege macht einen Satz. Bleibt dann abrupt stehen und glotzt uns an. Und ich denke noch: Was wird jetzt aus den Ziegen? Komisch, oder? Dass man in so einer Situation so was denkt.
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Im Visier des BKA
Dengler sah sich die Aufzeichnungen aus den Gesprächen mit Sarah Singer noch einmal an. Sie hatte angegeben, dass ihr Mann spät am Abend in den Supermarkt gefahren sei. So gegen neun. Er hatte ihr davon nichts gesagt.
Für ihn sei das eine Mutprobe gewesen, sagte sie. Dengler hatte nicht verstanden, warum der Besuch eines Supermarktes eine Mutprobe sein sollte. Sie hatte ihn lange angeschaut.
»Mein Mann ist krank«, hatte sie geantwortet. »Jetzt verstehen Sie doch endlich.«
Seit er aus Afghanistan zurück sei, hätte sich Florian geweigert, unter Leute zu gehen. Erst habe sie es auf die Anstrengungen und den Stress geschoben. Als er nicht einmal zum sechzigsten Geburtstag ihrer Mutter gehen wollte, hätten sie sich gestritten. Die Gründe, die er angeführt hatte, seien fadenscheinig gewesen, und erst nach und nach habe sie das Drama ihres Mannes verstanden.
»Er konnte nicht mehr als drei Menschen um sich herum haben. Seine Kameraden
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