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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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ausgenommen. Er fühlte sich sofort umzingelt. Von Feinden umzingelt. Und einmal, er war wieder einmal betrunken, gestand er mir unter Tränen: Er habe Angst, dass er irgendjemanden angreife – das Gefühl der Bedrohung und Umzingelung sei so groß. Er habe es gemerkt, als er im Supermarkt in der Schlange vor der Kasse stand.«
    »Und warum ging er dann am Abend so spät allein dorthin?«
    »Ich glaube, er wollte sich etwas beweisen. Er wollte sich beweisen, dass er allein einkaufen kann. Aber er konnte es nicht. Er drehte durch.«
    Dengler wusste: Er musste mehr über Singers Krankheit erfahren, wenn er Singer finden wollte.
    Das Telefon klingelte.
    Es war Hauptkommissar Weber.
    »Dengler, da haben Sie mir ja wieder mal etwas Seltsames aufgetragen ...«
    Er sprach lauter als sonst. Im Hintergrund waren Gespräche zu hören, die er offensichtlich übertönen musste.
    Wahrscheinlich sitzt er in seiner Kommission mit den noch immer nicht aufgeklärten Morden unter dem Marktplatz, dachte Dengler.
    »Florian Singer ist nicht zur Fahndung ausgeschrieben. Auch die Feldjäger sind nicht hinter ihm her. Aber etwas anderes ist merkwürdig: Es gibt eine Aufenthaltsermittlung Ihres alten Vereins.«
    »Des BKA?«, fragte Dengler verwundert.
    »Genau. Das BKA interessiert sich für Ihren Mann.«
    »Warum?«
    »Das weiß ich auch nicht. Hören Sie, ich habe hier genug zu tun. Wir haben einen weiteren Mord in einem Luftschutzbunker. In Mannheim. Wieder verbrannt. Und wir wissen nicht, wie.«
    Die beiden Männer verabschiedeten sich. Und Dengler hatte auf seiner Liste ein weiteres großes Fragezeichen.

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    Juli 2001: Erlangen, Katharina Petrys Wohnung
    Katharina Petry stand vor dem großen Spiegel im Flur ihrer Wohnung und band sich die schwarze Seidenfliege um. Die Fliege war ihr Kennzeichen, ihr Ausdruck der Corporate Personality – darauf kam es an, heutzutage.
    Es gab sonst nur noch den freundlichen Herrn, der im ZDF das Wetter präsentierte, den ehemaligen Forschungsminister und einen früheren Bundestagsabgeordneten der SPD, die die Fliege zu ihrem Markenzeichen gemacht hatten.
    Sie jedoch war die einzige Frau, die Fliege trug. Sie besaß fast fünfzig davon.
    Katharina Petry stand vor dem Sprung in den Vorstand der MensSys AG. Nicht wegen ihrer Fliege, sondern wegen ihres Projektes, das sie bis kurz vor die Marktreife geführt hatte. Wenngleich, da war sie sich sicher, die Fliege ihr immer geholfen hatte, sich von gleichrangigen Direktoren zu unterscheiden. Und dem Vorstandsvorsitzenden aufzufallen.
    Morgen hatte sie einen wichtigen Termin. Im Bundeskanzleramt. Sie war sich sicher, dass dem Abschlussbericht ihres Projektes nichts mehr im Weg stand.
    Auf diesen Termin hatte sie acht Monate gewartet. Und nun war es so weit.
    Vor acht Monaten hatte sie in einem ausführlichen Memo an Dr. Michael Kuhnert, dem Bereichsvorstand Defens Systems der MensSys AG, mitgeteilt, dass die Tests an dem System Delta III abgeschlossen seien. Wünschenswert sei nun ein Echtzeiteinsatz.
    Sie wurde kurzfristig zur Sitzung des Vorstandes nach München eingeladen.
    In der alten Villa, wie der Hauptsitz der Firma intern genannt wurde, tagte der Vorstand. Zu den einzelnen Tagesordnungspunkten wurden manchmal dieBereichsdirektoren hinzugerufen. Ihr Projekt stand als Nummer 23 auf der Liste, und sie konnte sich nicht vorstellen, wie der Vorstand an nur einem Tag eine solche Liste abarbeiten konnte. Aber bereits kurz nach halb zwölf wurde sie von einer Vorstandsassistentin in den Vorraum gerufen und kurz danach von einem jungen Assistenten in den Sitzungssaal geführt. Sie bekam einen Stuhl an der Wand zugewiesen.
    Natürlich war sie nervös. Sie befand sich zum ersten Mal im Zentrum der Macht des Konzerns und hatte bis in die Nacht noch Akten mit technischen oder praktischen Details gelesen. Sie fühlte sich nun zwar hundemüde, glaubte aber, auf jede Frage gewappnet zu sein.
    Professor Dr. h.c. Gerhard Schmiederer, der Vorstandsvorsitzende, rief den Tagesordnungspunkt auf und gab die kurze Übersicht, die sie ihm aufgeschrieben hatte: Stand des Projektes, zu erwartender Umsatz, bislang aufgelaufene Kosten. Nächster Schritt: politische Konsultationen. Für die Einführung brauche man einen Kabinettsbeschluss. Die Abteilung Politik und Außenbeziehungen würde damit betraut. Abstimmung: Alle Hände gingen nach oben.
    Ihr Projekt war abgenickt. Der junge Vorstandsassistent berührte ihren Arm, und ehe sie sich versah, war sie wieder draußen.

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