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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Hubschraubern erinnerten. Er dachte, er wäre wieder im Krieg. Das Gehirn reagiert beim Trauma immer noch so, als sei die Gefahr noch nicht vorbei. Unser Soldat befindet sich zurückversetzt in der Situation, die ihn traumatisierte. Für ihn scheint sie dann absolut real. Wie damals. Und dann gute Nacht.«
    »Gute Nacht?«
    »Er reagiert mit Angriff oder Flucht.«
    »Und als guter Soldat wohl eher mit Angriff.«
    Der Professor schob erneut das Blatt auf seinem Schreibtisch hin und her.
    »Wir sollten Singer wirklich bald finden«, sagte er.
    »Ist er gefährlich?«
    »Alles ist möglich. Er hat sich abgesetzt, bevor die eigentliche Therapie begann. Wir wissen leider nichts Genaues darüber,was Singer in Afghanistan gemacht hat und was ihn so traumatisiert hat.«
    »Kann es sein, dass er plötzlich Amok läuft oder so etwas?«
    Professor Bartsch hob die Hände und ließ sie wieder fallen.
    »Ich weiß es nicht. Wir wissen von Amokläufen amerikanischer GIs mit Posttraumatischen Belastungssyndromen, die in Vietnam, im Golfkrieg oder im Irak waren. Glauben Sie, dass deutsche Soldaten mit den gleichen Erfahrungen davor gefeit sind? Vielleicht ist es nur ein Wunder, dass bisher nichts passiert ist.«
    »Sie meinen: Die Soldaten, die aus Afghanistan zurückkommen, sind tickende Zeitbomben?«
    Bartsch schwieg.
    »Viele, die in Behandlung sollten, kommen nicht zu uns, weil sie glauben, Kameraden und Vorgesetzte hielten sie für Weicheier. Sie fürchten sich vor einem Karriereknick. Und vor dem persönlichen Versagen.«
»Und Singer?«
    »In der Kaserne funktionierte er. Aber draußen? Er war ... er ist«, verbesserte er sich, »sehr schwer krank.«
»Was hat Sie eigentlich veranlasst, mich doch noch zu treffen?«, fragte Dengler unvermittelt.
    Der Professor schob hektisch das Blatt vor sich hin und her. Dengler bemerkte, dass er puterrot anlief.
    »Sie wurden gebeten. Stimmt's?«
    Bartsch schien die Luft anzuhalten. Sein Kopf schien gleich zu platzen. Immer nervöser verschob er das Papier und ordnete es sofort wieder.
    »Wer hat Sie gebeten, mit mir zu sprechen?«, fragte Dengler.
    Mit einem Zischen entfuhr Bartsch die Luft.
    »Niemand«, sagte er, aber er deutete mit dem Finger an die Decke.
    Dengler nickte.
    »Ich danke Ihnen für das Gespräch«, sagte er.

[ Menü ]
    Eifersucht
    Auf dem Rückflug las Dengler noch einmal seine Notizen über das Gespräch mit Bartsch. Der Professor hatte ihm noch Kopien einiger Vortragstexte mitgegeben, die Dengler aufmerksam studierte.
    Er verglich alles mit den Aufzeichnungen, die er über Florian Singer angefertigt hatte.
    Dengler schloss die Augen und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Überraschend meldete sich in diesem Moment die metallene Stimme des Unbekannten in seinem Gehirn: »Sonst geht es dir wieder so.« Der Unbekannte hatte seine Drohung nicht wahr gemacht. Er hatte Dengler nicht wieder angegriffen, obwohl er seine Forderung ignoriert hatte. Lass die Finger von Singer – das hatte die durch den Zerhacker verfremdete Stimme von ihm verlangt. Er rief sich diesen Satz des Unbekannten noch einmal in sein Gedächtnis zurück.
    Lass die Finger von Singer.
    Plötzlich wusste er, dass etwas an diesem Satz falsch war. Fast gewaltsam versuchte er sich zu erinnern.
    Lass die Finger von Singer.
    Er versuchte sich an Betonung, Stimmlage oder eine Dialektfärbung in der Aussprache zu erinnern, aber der Zerhacker hatte all dies absorbiert.
    Trotzdem.
    Er hatte etwas übersehen, aber er wusste nicht, was.
    Mit der S-Bahn fuhr er vom Stuttgarter Flughafen bis zur Haltestelle Stadtmitte. Als er am Rotebühlplatz mit der Rolltreppe die unterirdische Passage verließ, nieselte ein leichter Sommerregen auf die Stadt. Unter dem Tagblattturm in einer kleinen Bar trank er im Stehen einen doppelten Espresso mit Milch.
    Lass die Finger von Singer.
    Er hatte die Drohung ignoriert. Es konnte also sein, dass eine neue Attacke bevorstand.
    Sonst geht es dir wieder so.
    Die Schmerzen waren unerträglich gewesen. Und angegriffen zu werden, ohne den Gegner zu sehen – das alles war unheimlich genug. Nein, auf eine Wiederholung legte er keinen Wert.
    * * *
    Am Abend kochte er für Olga. Auf dem Weg zurück in seine Wohnung hatte er einen Umweg über die Markthalle genommen und dort Zwiebeln und zwei Radicchio eingekauft.
    Er warf die Spaghetti ins kochende Salzwasser. Er schnitt eine mittelgroße Zwiebel in halbe Ringe und hackte den Radicchio. Beides gab er in eine Pfanne mit heißem Öl und erhitzte

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