Brennende Kontinente
Die weiten Schritte des Hünen ließen den Schnee fliegen, und obwohl er tief darin einsank, kam er rasch voran; die vielen Muskeln, sein künstlicher Unterarm aus stabilem Eisen und sein Brustharnisch machten ihn schwer, aber nicht unbeweglich oder gar hilflos. Waljakov ergriff die Zügel seines Rappen, den er neben dem Eingang angebunden hatte. Seine eisgrauen Augen wanderten zwischen den beiden Männern hin und her. »Sie kam hier durch. Vor etwa vier Tagen, sagt der Mann«, erstattete er Bericht. »Sie wollte weiter nach Südosten. Mehr wusste er nicht.«
Lodrik nickte ihm zu und zeigte seinen Ärger nicht. Es ging ihm alles zu langsam.
»Immerhin sind wir auf ihrer Spur«, warf Stoiko ein, um das Gute an den Neuigkeiten aufzuzeigen, und wickelte sich eine weitere Decke um. »Wir werden schon bald Genaueres über ihr Ziel erfahren.«
Waljakov streichelte die Nüstern des Rappen und wischte das feine Eis darunter weg, das sich durch die ausströmende Atemluft gebildet hatte. »Mir kommt es so vor, als wüsste sie genau, dass sie verfolgt wird. Sie steigert die Geschwindigkeit ihrer Reise mit jeder Etappe. Vielleicht haben wir uns in Granburg durch etwas verraten.«
»Ich weiß, was es ist.« Lodrik sank in den Sitz und flüchtete
vor dem Licht der Sonnen, das durch das Fenster in den
Innenraum fiel. »Sie spürt mich.« Am liebsten hätte er die Vorhänge zugezogen und nur durch den Stoff mit Waljakov geredet. »Sie weiß, dass ich ihr auf den Fersen bin, und versucht einen Ort zu erreichen, an dem sie sicher ist.«
»Oder wo sie einen besseren Ausgangspunkt hat, wenn es zum Kampf kommt.« Waljakov schwang sich in den Sattel und beugte sich nach vorn, um besser mit seinen Begleitern sprechen zu können; sein dünner grauer Bart entlang des Unterkiefers und um den Mund sah aus wie Frost. »Gibt es einen Platz, an dem sich ein Nekromant besonders wohl fühlt?«
Lodrik fiel sein eigener, zerfallener Palast in der Nähe von Ulsar ein. Dort war er gern, umgeben von Einsamkeit, ohne die störende Nähe zu Lebenden, die ihn mit aller Macht aus seinem kleinen, verbliebenen Königreich zu reißen versuchten. Er wollte allein sein, aber das kümmerte weder Stoiko noch Norina noch Krutor. Sie belästigten ihn unentwegt. »Schwierig«, lautete daher seine Antwort.
»Oder an dem seine Macht steigt?«, warf Stoiko ein. Lodrik erinnerte sich nicht, etwas in seinem Buch über Nekromantie darüber gelesen zu haben. Vermutlich schufen sich Wesen wie er und seine Tochter solche Orte selbst, indem sie ‐ wo auch immer sie länger verweilten ‐ den Hauch des Todes verbreiteten.
Er schüttelte den Kopf. »Weiter«, befahl er. »Je eher wir sie haben, desto besser.«
Waljakov nickte und ritt voran, der Schlitten fuhr los. Mit ihm zusammen setzte sich eine Gruppe von dreißig Reitern in Bewegung, alle schwer bewaffnet und gut ausgebildet. Lodrik hatte sie dem Gouverneur von Granburg mit der Auflage abgerungen, dass keiner von ihnen eine Uniform oder ein Abzeichen trug, die auf die Herkunft schließen ließen. Ein Beobachter des Zuges hätte einen Adligen vermutet, der eine Reise unternahm.
Stoiko betrachtete Lodriks eingefallene Wangen und die bleiche Haut, die sich über dem skeletthaften Gesicht spannte. Er würde sich niemals an den Anblick gewöhnen. Sein Schützling hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes furchtbar verändert.
»Tamuscha und Häntra sind vermutlich an der Grenze zu den Baronien«, sagte er, schluckte und rieb sich über den Schnauzbart. »Es ist gut, dass wir Waljakovs Gemahlin mit der einstigen Dienerin Aljaschas zu König Perdor geschickt haben. Tamuschas Aussage zu Aljaschas Kind wird dem König sehr viel helfen.«
Lodrik erwiderte nichts und starrte ins Freie; seine Augen nahmen die Umgebung, die an ihnen vorbeizog, dennoch nicht wahr. Er grübelte unentwegt.
Stoiko riss sich von Lodriks Antlitz los und widmete sich dem Reisesamowar, legte eine der kleinen Kohlen nach und hielt das Feuer am Brennen.
Es ging ihm weniger um den Tee, sondern mehr um die Wärme, die von dem Kessel ausging. Ihm kam es vor, als täte sich die Glut gegen die Ausstrahlung des Nekromanten schwer. Sie leuchtete weitaus weniger intensiv als gewöhnlich, so als dämpfe Lodrik Licht und Hitze gleichermaßen. »Nicht, dass ich es Häntra nicht zutrauen würde, einen Kampf zu bestehen, aber in ihrem Zustand ...« Er reckte die Hände gegen den tickenden Behälter und wartete vergebens auf eine Reaktion. »Herr, habt Ihr
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