Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
gut in der Gegend rum.«
    »Man sagt, die Haitianer wären sehr religiös.«
    »Ja, klar.« Fontenot nickte. »In ihrer Heimat hatten sie ‘nen Pfarrer, der zog diese Moses-befrei-das-Volk-Masche ab. Das Regime hat ihn natürlich erschießen lassen. Dann haben sie mit seinen Anhängern ein paar schlimme Dinge angestellt, die Amnesty International richtig wütend machte. Aber… wen kümmert’s? Verstehen Sie? Das sind Haitianer!«
    Fontenot nahm beide Hände vom Steuer. »Weshalb sollte sich jemand wegen irgendwelcher Haitianer aufregen? Überall auf der Welt werden Inseln überschwemmt. Alle steh’n sie unter Wasser, alle haben große Probleme wegen des ansteigenden Meeresspiegels. Aber Huey… also, Huey nimmt es richtig persönlich, wenn charismatische Anführer erschossen werden. Huey hat es mit der französischen Diaspora. Er hat versucht, das Außenministerium in die Mangel zu nehmen, aber die hatten selbst schon mehr als genug Probleme. Und deshalb hat Huey eines Tages eine große Flotte Krabbenboote nach Haiti geschickt und alle eingesammelt.«
    »Wie hat er ihnen Einreisevisas verschafft?«
    »Da hat er sich nicht drum geschert. Sie müssen genauso denken wie Huey, versteh’n Sie. Huey hat immer zwei, drei, vier Dinge gleichzeitig laufen. Er hat sie versteckt. In den Salzgruben. In Louisiana gibt es diese großen Salzgruben. Mineralvorkommen von der doppelten Größe des Mount Everest. Hundert Jahre lang hat man sie abgebaut. Dort unten gibt es riesige Höhlen, so groß wie Vorstädte, die Decke dreihundert Meter hoch. Heutzutage baut niemand mehr Salzvorkommen ab. Wegen der Meerwasserentsalzungsanlagen ist Salz spottbillig, genau wie Öl. Wir haben’s ausgegraben und verkauft, und geblieben ist uns nichts. Riesige, luftdicht abgeschlossene leere Höhlen, tief unter der Erdkruste. Wozu sind sie jetzt noch nutze? Also, einen Nutzen haben sie schon. Weil man nämlich nicht reingucken kann. Höhlen kann man nicht mit Satelliten überwachen. Huey hat die haitianischen Sektenmitglieder also ein paar Jahre lang in den gewaltigen Salzgruben versteckt. Er hat sich heimlich mit ihnen beschäftigt, genau wie mit seinen anderen heißen Geheimprojekten. Zum Beispiel mit den Riesenspeerfischen, der Treibstoffhefe und den Quastenflossern…«
    »Quastenflossern?« wiederholte Kevin.
    »Lebende Fossilien aus Madagaskar, mein Sohn. Älter als die Dinosaurier. Deren DNS könnte von einem anderen Planeten stammen. Richtig primitiv und robust. Man schnippele Stücke von der fernen Vergangenheit ab und füge sie Mitte nächster Woche ein – das ist Hueys Rezept für die Zukunft.«
    Oscar wischte Spritzwasser von der wasserdichten Fliegermontur. »Dann war das, was er mit den Haitianern angestellt hat, also eine Art Pilotprojekt.«
    »Ja. Und wissen Sie was? Huey hat Recht.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Hueys irrt sich in Kleinigkeiten, aber die große Linie stimmt so gut, dass der Rest einfach nicht mehr zählt. Louisiana ist die wahre Zukunft, verstehen Sie. Irgendwann in naher Zukunft wird es auf der ganzen Welt wie in Louisiana aussehen. Weil der Meeresspiegel steigt und Louisiana ein riesiger Sumpf ist. Die Welt der Zukunft ist ein großer, warmer Treibhaussumpf. Voller schlecht ausgebildeter, halbgebildeter Leute, die kein Englisch sprechen und nicht vergessen, Kinder zu zeugen. Und sie fahren total auf Biotechnik ab. So wird die Welt von morgen aussehen – nicht bloß Amerika, o nein, sondern die ganze Welt. Warm, feucht, kaputt, halb vergessen, irgendwie verrottet. Die politischen Führer sind korrupt, jeder hält die Hand auf. Das ist schlimm, wirklich schlimm, das ist noch schlimmer, als es klingt.«
    Fontenot grinste plötzlich. »Wissen Sie was? Es ist machbar, es geht! Die Fische beißen an! Das Essen ist prima! Die Frauen sehen gut aus, und die Musik hat richtig Swing!«
    Sie kämpften sich zwei Stunden lang bis zum Flüchtlingslager durch. Das Hovercraft arbeitete sich durchs Schilf, schrammte über Riedgras und klebrigen schwarzen Schlamm hinweg. Das Lager der Haitianer hatte man klugerweise auf einer Insel errichtet, die nur mit dem Flugzeug erreichbar war – oder von einem Amphibienboot mit entschlossenem Steuermann.
    Sie fuhren auf festen Boden, stiegen aus und schritten durchs kniehohe Unkraut.
    Oscar hatte das Schlimmste erwartet: Scheinwerfer, Wachtürme, Stacheldraht und scharfe Hunde. Das Emigrantendorf der Haitianer aber war kein bewachtes Lager. In erster Linie war es ein Ashram, ein religiöser

Weitere Kostenlose Bücher