Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
Zufluchtsort. Es war eine bescheidene, ruhige, ländliche Siedlung mit säuberlich getünchten Blockhäusern.
    Das Dorf bot sechs- bis siebenhundert Menschen Platz, darunter zahlreichen Kindern. Es gab keinen Strom, keine Kanalisation, keine Satellitenschüsseln, keine Straßen, keine Autos, keine Telefone und keine Flugzeuge. Abgesehen vom Vogelgezwitscher, dem gelegentlichen Klonk einer Axt und dem fernen, inbrünstigen Gesang war es ruhig.
    Niemand hatte es eilig, doch offenbar hatten alle etwas zu tun. Das Leben verlief hier in den ländlichen Bahnen des vorindustriellen Zeitalters. Diese Menschen ernährten sich tatsächlich vom Land – nicht indem sie die Landschaft zerstörten und das geerntete Material in Tanks umwandelten, sondern indem sie den Boden mit Handwerkszeugen bearbeiteten. Dies alles mutete fremdartig und museal an. Oscar kannte die Landwirtschaft aus Büchern und Dokumentarfilmen, doch leibhaftig war er noch nie mit ihr in Berührung gekommen. Zum Beispiel mit archaischen Tätigkeiten wie dem Schmieden oder Spinnen.
    Überall sah man kleine, gepflegte Gärten mit Komposthaufen und Kübel mit den Exkrementen der Nacht. Die Einheimischen hatten viele Hühner. Die Hühner waren alle genetisch identisch, wenngleich unterschiedlich alt. Auch die Ziegen waren identische Kopien. Dabei handelte es sich um eine zähe, bärtige Rasse mit bösartigen Augen, um eine Superziege, die in zahlreichen Exemplaren vertreten war. Bohnen wanden sich an Stangen empor, es gab Monstermais, große, behaarte Gumboschoten, gelbe Riesenkürbisse, steinharten Bambus, eine kleinwüchsige Sorte Zuckerrohr. Einige Einheimische waren Fischer. Vor einiger Zeit hatten sie ein furchteinflößendes ledriges Wesen an Land gezogen, von dem nur noch ein Skelett aus armdicken Fischgräten übrig war.
    Die Kommunarden trugen selbstgewebte Kleider. Die Männer schlichte Strohhüte, kragenlose geknöpfte Westen, Hosen mit Zugbändern. Die Frauen knöchellange Hemden, weiße Schürzen und große Sonnenhüte.
    Sie waren freundlich, aber distanziert. Von Besuchern ließen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie waren alle mit ihrem Tagwerk beschäftigt. Allerdings bildete sich ein kleines Grüppchen neugieriger Kinder, die den drei Fremden folgten und hinter ihrem Rücken kichernd Grimassen schnitten.
    »Das kapier ich nicht«, sagte Kevin. »Ich dachte, das wär ein Konzentrationslager. Aber den Leuten hier geht’s gut.«
    Fontenot nickte mürrisch. »Ja, es soll einladend wirken. Das ist ein selbstversorgendes Farmprojekt. Die Produktivität wird gesteigert, indem man das Saatgut und die Tierarten verbessert – ohne Ölverbrennung, ohne Kohlendioxidausstoß. Vielleicht kehren sie irgendwann nach Haiti zurück und bringen’s allen bei.«
    »Das würde nicht funktionieren«, sagte Oscar.
    »Warum nicht?« fragte Kevin.
    »Weil die Niederländer das schon seit Jahren versuchen. In den hochentwickelten Ländern glauben alle, man könnte das bäuerliche Leben neu erfinden, indem man die Stammesleute unwissend hält. Angepasste Technologie funktioniert einfach nicht. Und zwar weil das Landleben langweilig ist.«
    »Genau«, meinte Fontenot. »Das hat mir auch zu denken gegeben. Eigentlich müssten sie angelaufen kommen und uns um Geld und Radios anbetteln, wie andere Bauern, die amerikanischen Touristen begegnen, auch. Aber sie gucken nicht mal zu uns her. Passen Sie auf. Hören Sie dieses Gemurmel?«
    »Meinen Sie die Gesänge?« fragte Oscar.
    »Klar, sie singen. Vor allem aber beten sie. Alle Erwachsenen beten, Männer wie Frauen. Sie beten ständig. Und wenn ich ständig sage, meine ich’s auch, Oscar.«
    Fontenot stockte. »Wissen Sie, bisweilen kommen Fremde her. Jäger, Fischer… Ich hab da so einiges gehört. Sie alle glauben, das hier wären richtig fromme Haitianer, die einem komischen Voodoo-Kult angehören. Ich habe Jahre damit zugebracht, in Menschenmengen nach Verrückten Ausschau zu halten. Damals hielt man große Stücke auf die Psychoanalyse. Deshalb bin ich mir auch sicher, dass in den Köpfen dieser Menschen etwas nicht stimmt. Das ist keine Psychose. Es geht hier auch nicht um Drogen. Religion hat was damit zu tun – aber das allein ist es nicht. Man hat irgendwas mit ihnen angestellt.«
    »Mit ihrem Gehirn«, sagte Oscar.
    »Ja. Sie sind auch tatsächlich anders. Sie wissen, dass dort unten in den Salzgruben etwas mit ihnen geschehen ist. Aber sie glauben, sie hätten eine Erleuchtung gehabt. Der Heilige Geist ist

Weitere Kostenlose Bücher