Brennendes Land
gab‹«, antwortete Fontenot.
»Wie?«
»Das ist ein Sprichwort.«
Der kleine Junge war hochzufrieden, dass er die Werkstatt des Alten hatte betreten dürfen. Papa Christophe schnitzte noch ein wenig, wobei er sich mit freundlichen Bemerkungen an den Jungen wandte. Der Rum tropfte stetig in die fast volle Flasche.
Fontenot zeigte auf das Kind und sagte etwas auf französisch. Papa Christophe kicherte nachsichtig. »D’abord vous guett é poux-de-bois manger bouteille, accrochez vos calabasses«, sagte er.
»Hat irgendwas mit Flaschen fressenden Käfern zu tun«, erklärte Fontenot.
»Fressen Käfer denn Flaschen?« fragte Kevin.
Christophe beugte sich vor und betrachtete die Holzkohlelinie, die er gezogen hatte. Er war völlig gefangen von seiner Statue. Der kleine Junge wiederum war von den Schnitzwerkzeugen fasziniert.
Unvermittelt streckte der Junge die Hand nach dem tuchverhüllten Sägeblatt aus. Ohne jedes Zögern langte der alte Mann hinter sich und packte mit unfehlbarer Sicherheit das Handgelenk des Jungen.
Daraufhin stand Papa Christophe auf, hob den Jungen einhändig hoch und nahm ihn auf den Arm. Im gleichen Moment trat er zwei Schritte zurück, streckte ohne hinzusehen die Linke aus und nahm eine leere Flasche vom Wandbord.
Sodann drehte er sich auf der Stelle und riss die randvolle Flasche von der Destille. Er ersetzte die volle Flasche durch die leere – während er den kleinen Jungen freundlich ermahnte. Irgendwie schaffte es Christophe, all diese Handlungen miteinander so zu koordinieren, dass kein einziger Tropfen Rum verloren ging.
Der alte Mann schlurfte zu seinem Arbeitsschemel zurück, nahm darauf Platz und setzte sich den Jungen auf den mageren Schenkel. Er hob die Rumflasche mit der Linken hoch, betrachtete den Inhalt und machte eine Bemerkung zu Fontenot.
Kevin rieb sich die Augen. »Was war das? Hat er da einen Jig rückwärts getanzt? Das ist doch nicht möglich.«
»Was hat er gesagt?« wandte Oscar sich an Fontenot.
»Hab’s nicht verstanden«, antwortete Fontenot. »Ich war zu sehr damit beschäftigt, ihn zu beobachten. Das war wirklich seltsam.« Er sprach Papa Christophe auf französisch an.
Christophe seufzte geduldig. Er nahm ein glattgehobeltes Pinienbrett und den verkohlten Stecken in die Hand. Er hatte eine erstaunlich anmutige, flüssige Handschrift, als wäre er bei Nonnen zur Schule gegangen. Er schrieb: »Quand la montagne br û le, tout le monde sait; quand le coeur br û le, qui le sait?« Er schrieb mit abgewandtem Kopf, während er sich freundlich mit dem Jungen unterhielt.
Fontenot las, was er auf das Pinienbrett geschrieben hatte. »Wenn der Berg Feuer fängt, weiß es jeder. Aber wenn das Herz Feuer fängt, wer merkt das schon?«
»Das ist ein interessanter Gedanke«, meinte Kevin.
Oscar nickte nachdenklich. »Besonders interessant finde ich, dass unser Freund diese alte Volksweisheit niederschreiben kann, während er sich mit dem Kind unterhält.«
»Er ist mit beiden Händen gleich geschickt«, sagte Kevin.
»Nein.«
»Er ist wirklich schnell«, sagte Fontenot. »Das erinnert an Taschenspielertricks.«
»Nein. Schon wieder falsch.« Oscar räusperte sich. »Meine Herren, könnten wir mal nach draußen gehen und uns unter sechs Augen unterhalten? Ich glaube, es wird allmählich Zeit, wieder zum Boot zurückzugehen.«
Sie nahmen Oscar beim Wort. Fontenot verabschiedete sich herzlich. Sie traten ins Freie und humpelten schweigend aus dem Dorf hinaus, vorbei an den verlegen grinsenden Bewohnern. Oscar fragte sich insgeheim, weshalb das Schicksal ihn mit zwei Generationen lahmer Männer geschlagen hatte.
Schließlich waren sie außer Hörweite der Haitianer angelangt. »Also, was meinen Sie?« fragte Kevin.
»Ich glaube, das ist eine Hirngeschichte. Er war sich gleichzeitig zweier verschiedener Ereignisse bewusst. Er hat verhindert, dass sich der Junge verletzt, weil er ständig an den Jungen gedacht hat. Und obwohl er sorgfältig mit Hammer und Meißel arbeitete, ließ er nicht zu, dass die Flasche überfloss. Er hörte auf das Getröpfel, während er schnitzte. Er brauchte nicht einmal hinzusehen, um zu wissen, dass die Flasche voll war. Ich glaube, er hat die Tropfen gezählt.«
»Dann ist das so, als ob er zwei Gehirne hätte«, meinte Kevin bedächtig.
»Nein, er hat bloß ein Gehirn. Aber er hat auf dem Bildschirm hinter seinen Augen zwei Fenster geöffnet.«
»Er betreibt Multitasking, aber mit seinem eigenen Hirn.«
»Ja, genau. So
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