Brennendes Wasser
noch einige andere, bereits fertig bemalte Figuren, die Wölfe und Adler darstellten.
»Grandpa, diese Männer würden gern die Geschichte über dein Gewehr hören.«
Die dunklen, ostasiatisch wirkenden Augen des Alten sprühten vor Intelligenz, und sein humorvolles Gesicht legte sich in tausend kleine Falten. Clarence trug eine dunkel gerahmte Brille und hatte sein dichtes silbriges Haar ordentlich zur Seite gescheitelt. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, und obwohl er mindestens achtzig Jahre alt sein musste, war sein Händedruck fest wie ein Schraubstock. Er sah aus, als könnte er noch immer ganz allein einen Seelöwen niederringen.
»Ich muss zurück zum Laden«, sagte sein Enkel und machte wieder kehrt. »Ich lasse inzwischen Ihr Flugzeug auftanken.«
»Diese Figuren sind für einige Andenkenläden in Anchorage bestimmt«, sagte der alte Mann und räumte den Eisbären und die Farben beiseite. Seine Stimme war sanft wie eine seichte Brise und nicht etwa dröhnend laut, wie man angesichts seiner stämmigen Statur hätte vermuten können. »Schön, dass Sie vorbeigekommen sind. Das Mittagessen ist gerade fertig.« Er wies auf zwei klapprige Stühle, ignorierte den höflichen Protest seiner Gäste und befüllte drei angeschlagene, bunt gemusterte Porzellanschalen mit Eintopf. Dann aß er demonstrativ etwas davon, als wolle er eventuelle Bedenken über seine Kochkünste zerstreuen. »Wie schmeckt es Ihnen?«
Austin und Zavala probierten vorsichtig und bekundeten ihre ehrliche Begeisterung.
»Ist das Karibu?«, fragte Joe.
Wortlos griff der alte Mann in einen Abfalleimer und holte daraus eine Eintopfdose hervor, wie es sie in jedem Supermarkt zu kaufen gab.
»Mike ist ein guter Junge«, sagte Clarence. »Er und seine Frau versorgen mich mit Fertiggerichten, damit ich nicht selbst zu kochen brauche. Sie fürchten, dass ich nach dem Tod meiner Frau vereinsamen könnte. Ich freue mich über Besucher, aber ich möchte Sie beide natürlich keineswegs langweilen.«
Austin sah sich im Zimmer um. Die Wände waren mit primitiven Harpunen und einigen einheimischen Kunstgegenständen geschmückt. Neben einer Furcht erregenden Walrossmaske hing in völlig unpassendem Kontrast ein Druck von Norman Rockwell, auf dem ein Junge in der Praxis eines Zahnarztes zu sehen war. Überdies entdeckte Kurt zahlreiche Familienfotos, darunter einige von einer stämmigen, stattlichen Frau, bei der es sich vermutlich um die verstorbene Gattin des Alten handelte. Völlig fehl am Platz wirkte hingegen ein Computer, der in einer der Ecken stand. Grandpa Tinook bemerkte Austins amüsierten Blick. »Schon erstaunlich«, sagte er. »Mit Hilfe der Satellitenverbindung lernen unsere Kinder viel über den Rest der Welt.
Und ich kann mich dank dieser Maschine mit allen möglichen Leuten unterhalten und bin nie allein.«
Clarence war durchaus kein alter dummer Schwätzer, folgerte Kurt. Es tat ihm Leid, dass er ursprünglich nach einer Ausrede gesucht hatte, um das Treffen zu vermeiden. »Falls Sie nichts dagegen haben, würden wir jetzt sehr gern Ihre Geschichte hören«, sagte er.
Grandpa Tinook löffelte geräuschvoll den Rest seines Eintopfs aus, stellte das schmutzige Geschirr in die Spüle und setzte sich wieder. Dann kniff er die Augen zusammen, als müsse er sich die Einzelheiten mit Mühe ins Gedächtnis rufen. Doch schon bei den ersten Worten wurde klar, dass er diese Erzählung schon häufiger zum Besten gegeben hatte.
»Vor vielen Jahren war ich eines Tages draußen auf der Jagd.
Ich habe Forellen und Lachse geangelt, Füchse gefangen und manchmal sogar ein Karibu erwischt; irgendwas war immer dabei, wenn ich mit meinem kleinen Aluminiumboot und dem guten Motor aufgebrochen bin, und so kam ich ziemlich weit in der Gegend herum. An jenem Tag war es zu spät, um noch heimzukehren, und so habe ich, wie schon häufiger, auf dem alten Flugfeld übernachtet.«
Austin und Zavala sahen sich an. In Alaska gab es jede Menge Flugplätze, die mitunter diesen Namen kaum verdient hatten.
»Wo lag dieses Flugfeld?«, fragte Kurt.
»Ein Stück weiter nördlich. Es war ein Überbleibsel aus dem Großen Krieg. Früher legten Flugzeuge auf dem Weg nach Russland dort einen Zwischenstopp ein, und es gab einige Zeppeline, um nach U-Booten Ausschau zu halten. Mittlerweile war nicht allzu viel mehr davon übrig. Es gab eine Hütte, in der ich ein Feuer entzünden konnte, so dass ich es warm und trocken hatte. Außerdem konnte ich meine
Weitere Kostenlose Bücher