Brennendes Wasser
sollten besser von hier verschwinden. Ich habe nach wie vor dieses Schweizer Armeemesser. Vielleicht können wir uns aus Ästen und Ranken eine Art Floß bauen.«
Gamay starrte in Richtung der Wasserfälle. »Ich habe eine bessere Idee.« Sie hielt inne. »Ist vielleicht ein bisschen riskant.«
»Ein bisschen riskant?« Paul lachte in sich hinein. »Vergiss nicht, dass ich mit den verschlungenen Windungen deines Verstands durchaus vertraut bin. Du willst vorschlagen, dass wir diesen Jungs folgen und eines der Kanus stehlen.«
»Wieso nicht? Sieh mal, das hier ist deren Revier, also dürften sie schwerlich mit so etwas rechnen. Und bei allem Respekt für deinen geschickten Umgang mit einem Schweizer Armeemesser – ich kann mir kaum vorstellen, dass wir damit ein Gefährt zustande bringen, das unser beider Gewicht aushält und uns weiß Gott wie viele Meilen flussabwärts trägt, ohne zu sinken oder direkt mit uns in die Arme dieser Indios zu treiben. Schon mit dem Airboat war die Reise nicht gerade einfach. Die Leute können nicht den ganzen Tag paddeln, sondern müssen irgendwo anlegen. Wir finden die Stelle, warten die Dunkelheit ab und klauen eines der Boote. Ich wette, sie werden es nicht mal vermissen.«
Paul musterte sie amüsiert. »Entdecke ich da in deinem Vorschlag womöglich einen Hauch von wissenschaftlicher Neugier?«
»Okay, ich gebe zu, dass es mir nicht nur ums blanke Überleben geht. Und sag jetzt nicht, du würdest dich nicht ebenfalls für diesen Hightech-Stamm und die geheimnisvolle weiße Göttin interessieren.«
»Vor allem interessiert mich, ob die wohl was zu essen haben«, sagte Paul und klopfte sich auf den Bauch. Dann kaute er nachdenklich auf einem Grashalm herum. »Jetzt mal im Ernst.
Wir sitzen in der Patsche und haben eigentlich kaum eine Alternative. Wir wissen weder, wo wir sind, noch, wie wir von hier verschwinden sollen. Wir haben keinerlei Vorräte, und wie du bereits festgestellt hast, befinden wir uns auf feindlichem Terrain. Ich schlage vor, dass wir die Gegend auskundschaften. Wir sind fremd in einem fremden Land. Wir lassen es ganz langsam angehen, und falls es uns zu gefährlich wird, nehmen wir die Beine in die Hand.«
»Einverstanden«, sagte Gamay. »Und was das Essen anbetrifft, sind mir kürzlich leider die Müsliriegel ausgegangen. Aber ich habe beobachtet, wie Vögel die Beeren von dem Busch da drüben gefressen haben. Da ich hier nirgendwo tote Vögel sehe, sind sie vermutlich nicht giftig.«
»Also Beeren«, sagte Paul. »
So
schlecht können die ja gar nicht schmecken.«
Er irrte sich. Die Beeren waren dermaßen bitter, dass Gamay und er schon nach dem ersten Bissen angewidert das Gesicht verzogen. Mit leeren Mägen machten sie sich auf den Weg und folgten dem Verlauf des Seeufers. Als der Schlamm vor ihnen auf einmal nach Treibsand aussah, kletterten sie ein Stück die Böschung empor und stießen auf einen Trampelpfad. Er war schon ziemlich überwuchert und schien längere Zeit nicht mehr benutzt worden zu sein. Dennoch blieben die Trouts auch weiterhin vorsichtig und waren stets bereit, sich im Fall einer une rwarteten Begegnung seitwärts in die Büsche zu schlagen.
Sie folgten dem Pfad ungefähr anderthalb Kilometer, bis sie an eine Stelle gelangten, an der die Dunstschwaden des Sees wie künstlicher Nebel in den Wald drangen. Die Blätter der Pflanzen waren nass, als hätte es kürzlich geregnet, und das Donnern der Wasserfälle hallte laut wie tausend Kesselpauken. Paul und Gamay wussten, dass dieser Lärm nicht nur ihre eigenen Geräusche unhörbar machte, sondern problemlos den Vormarsch einer ganzen Armee übertönt hätte. Die Luft wurde kühl und so feucht, dass die Trouts sich die Hände vor die Nasen hielten, damit sie nicht husten mussten. Gleichzeitig betrug die Sichtweite kaum zwei Meter, und so mussten Paul und Gamay sich vorbeugen, um den Pfad nicht aus den Augen zu verlieren.
Dann lag der Dunst urplötzlich hinter ihnen. Falls sie erwartet hatten, so wie die Reisenden in Shangri-La auf ein idyllisches Tal zu stoßen, wurden sie enttäuscht. Der Wald sah hier genauso aus wie auf der anderen Seite der Gischtschwaden. Der Pfad jedoch führte nicht länger am Seeufer entlang, sondern bog ab und folgte dem Verlauf eines Seitenarms, auf dem auch die Kanus enteilt sein mussten.
Nach ein paar Minuten blieb Gamay stehen und schüttelte den Kopf. »Fällt dir an diesem kleinen Fluss irgendetwas Seltsames auf?«
Paul trat ans Ufer. »Ja, er
Weitere Kostenlose Bücher