Brennendes Wasser
Erregung.
»Das ist nicht gut«, sagte sie.
»Wer waren diese Leute?«, fragte Gamay.
»Der hoch gewachsene Mann ist der Sohn des früheren Häuptlings, der bei dem Absturz getötet wurde. Ich habe ihn nach dem König der Westgoten Alarich genannt. Er ist ziemlich intelligent und ein geborener Anführer, aber er neigt zum Jähzorn. Am liebsten würde er mich entthronen, und mittlerweile hat er eine Gruppe junger Gefolgsleute um sich geschart. Die Tatsache, dass er es gewagt hat, den verbotenen Schrein zu betreten, zeugt von seiner wachsenden Kühnheit. Ganz offensichtlich schlägt er Kapital aus den Fragen, die durch Ihre Ankunft aufgeworfen wurden. Wir müssen zurück in den Palast.«
Als sie die Lichtung verließen, tauchten die Wachen wie aus dem Nichts wieder auf und nahmen ihre ursprünglichen Plätze ein. Francesca beeilte sich, und schon nach wenigen Minuten betraten sie erneut die Ansiedlung. Die Veränderung hinter der Palisade war nicht zu übersehen. Zahlreiche Krieger hatten sich zu kleinen Gruppen zusammengefunden und wandten die Blicke ab, wenn die Prozession ihren Pfad kreuzte. Hatte es auf dem Weg nach draußen noch viele freundlich lächelnde Gesichter gegeben, war jetzt keine Spur mehr davon zu entdecken.
Vor dem Palast hatten sich ungefähr zwanzig Bewaffnete um Alarich versammelt. Auf Francescas herrische Geste hin gaben sie zwar mürrisch den Weg frei, doch Gamay bemerkte, dass sie sich absichtlich viel Zeit dabei ließen. Im Innern des Hauses wartete bereits Tessa. Ihr Blick war vor Angst geweitet. Sie und die weiße Göttin unterhielten sich kurz in der Stammessprache, und dann übersetzte Francesca die Neuigkeiten für die Trouts.
»Die Priester haben eine Entscheidung getroffen. Man will Sie morgen früh töten. In der Nacht wird man den nötigen Mut dafür sammeln und die Scheiterhaufen errichten, auf denen Sie verbrannt werden sollen.«
Gamays Miene verhärtete sich. »Schade, dass wir nicht bis zum Barbecue bleiben können«, sagte sie. »Und jetzt werden wir uns verabschieden. Zeigen Sie uns doch bitte den Weg zum nächsten Kanu.«
»Unmöglich! Wir würden keine drei Meter weit kommen.«
»Was schlagen Sie vor?«
Francesca stieg auf das Podest und setzte sich auf ihren Thron. Ihr Blick war unverwandt auf die Tür des Raums gerichtet. »Wir warten«, sagte sie.
20
Das alte Schiff hing wie an unsichtbaren Kabeln mitten in der Luft, und sein mehrere Decks hoher Rumpf war von einem Netz aus sanft schimmernden, hellblauen Linien überzogen. Die großen Rahsegel blähten sich, und an der Mastspitze flatterten gespenstische Wimpel, als würden sie von einer auffrischenden Brise erfasst.
Hiram Yaeger lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte das durchscheinende Abbild, das vor seinem hufeisenförmigen Schaltpult über einer Plattform schwebte. »Sie ist
wunderschön
, Max«, sagte er, »aber die Einzelheiten müssen noch feiner werden.«
Aus einem Dutzend Lautsprechern, die überall in die Wände eingelassen waren, ertönte sanft eine geisterhafte weibliche Stimme. »Sie haben doch ausdrücklich nur nach einer Blaupause verlangt, Hiram.« Sie klang ein wenig gereizt.
»Stimmt, Max«, antwortete Yaeger, »und du hast dich dabei selbst übertroffen. Aber nun würde ich gern ausprobieren, wie nah wir dem tatsächlichen Ergebnis kommen können.«
»Fertig«, sagte die Stimme.
Der Rumpf des Schiffs materialisierte sich wie ein Geist aus Ektoplasma. Von vorn bis achtern verliefen kunstvolle, golden glänzende Schnitzereien. Yaegers Blick verharrte auf der Bugspitze, die von einem hölzernen Abbild König Edgars gekrönt wurde, der mit seinem Schlachtross über die sieben gefallenen Monarchen hinwegritt, aus deren geschorenen Barten man den Saum seines Mantels gefertigt hatte. Dann betrachtete Hiram die riesigen Darstellungen der prächtigen Götter des Olymps, bis hin zum hohen Achterschiff, das mit biblischen Figuren geschmückt war. Jedes einzelne Detail stimmte perfekt.
»Wow!«, rief er. »Du hast mir verschwiegen, dass du bereits alles berechnet hattest. Jetzt fehlen bloß noch ein paar Delphine.«
Im selben Moment wurde unter dem Schiff ein simuliertes Meer sichtbar, aus dem am Bug zwei Delphine hoch emporsprangen und klatschend wieder eintauchten. Das dreidimensionale Bild begann sich langsam zu drehen, während aus den Lautsprechern das Pfeifen und Schnattern der Delphine drang.
Yaeger klatschte begeistert in die Hände und lachte wie ein Kind.
»Max, du bist
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