Brennendes Wasser
fünfzig Jahre her. Weshalb sollte man es weiterhin geheim halten?«
»Geheimnisse verselbständigen sich manchmal weit über jede Logik hinaus.«
Miller ließ den Blick über den schattigen Vorgarten wandern.
»Am schlimmsten ist das Wissen, dass mein Vater während all der Zeit vielleicht am Leben gewesen ist.« Er sah wieder zu Austin. »Womöglich lebt er sogar
immer noch
. Er wäre jetzt Ende achtzig.«
»Kann schon sein. Demnach könnte es nach wie vor jemanden geben, der die ganze Wahrheit kennt.«
»Ich möchte, dass alles ans Licht kommt, Mr. Austin. Können Sie mir dabei helfen?«
»Ich werde mich jedenfalls nach Kräften bemühen.«
Sie unterhielten sich noch eine Weile und tauschten schließlich ihre Telefonnummern. Austin versprach, er würde sich melden, sobald er etwas erfuhr. Dann machte er sich auf den Weg zurück nach Washington. Wie jeder gute Detektiv hatte er an einige Türen geklopft und verschiedene Informanten abgeklappert, doch dieses Puzzle war zu alt und zu komplex für die üblichen Methoden. Es war an der Zeit, dass er mit Hiram Yaeger sprach, dem Computerexperten der NUMA.
19
Das Dorf der Indios stellte ein wahres Wunderwerk der Stadtplanung dar. Die Trouts schlenderten über das Netz aus festgestampften Erdpfaden, das die Hütten miteinander verband. Fast hätten sie vergessen können, dass sie sich im Gefolge einer geheimnisvollen und schönen weißen Göttin befanden, die einen Bikini aus Jaguarfell trug und von einer stummen Eskorte aus sechs bewaffneten Chulo begleitet wurde, deren Körperbemalung der eines Learjets nachempfunden war.
Francesca ging voran. Die Krieger flankierten sie und hielten dabei einen Abstand ein, der ungefähr der Länge ihrer Speere entsprach. Vor dem großen Brunnen im Zentrum des Dorfs blieb die Göttin stehen. Mehrere Indiofrauen befüllten hier Töpfe mit Wasser, während Scharen nackter Kinder zwischen ihren Müttern fröhlich Fangenspielten. Francescas Stolz war unverkennbar.
»Jede der Verbesserungen hier ist Teil eines durchdachten Systems«, sagte sie mit weit ausholender Geste. »Ich bin an das Projekt herangegangen, als würde ich eine neue Infrastruktur für São Paulo planen, und beim ersten Spatenstich lagen bereits mehrere Monate Arbeit hinter mir. Zuerst habe ich ein komplettes Schema angelegt, bis hin zur Verteilung der Mittel, Vorräte und Arbeitskräfte. Dann musste ich für die Herstellung der besonderen Werkzeuge sorgen, die zur Anfertigung von hölzernen Leitungen, Ventilen und Verbindungsstücken erforderlich sein würden. Gleichzeitig durften die anderen Abläufe im Dorf, zum Beispiel Jagd und Ernte, nicht unterbrochen werden.«
»Bemerkenswert«, sagte Gamay, betrachtete die ordentlich errichteten Hütten und verglich sie zwangsläufig mit Dieters verwahrlostem kleinen Königreich oder auch der vergleichsweise zivilisierten Ansiedlung, in der das Haus von Dr. Ramirez stand.
»Absolut bemerkenswert«, wiederholte sie.
»Vielen Dank, aber sobald erst einmal die Planung stand, war es nicht mehr so schwierig, wie es aussieht. Fließendes Wasser war der Schlüssel zum Erfolg. Das ist hier nämlich genauso unentbehrlich und wichtig für den Lebensstandard wie in der so genannten zivilisierten Welt. Ich habe Arbeiter mit Schaufeln eingeteilt, die eine Abzweigung vom Fluss graben sollten. Und prompt bekamen wir die gleichen Probleme wie bei jedem anderen Projekt auf dieser Welt, denn die Schaufelmacher beklagten sich, wir würden sie zu sehr drängen und daher eine Minderung der Produktqualität riskieren.« Sie lachte. »Es war wirklich lustig. Schließlich hatten wir den Kanal fertig, und dann war es nicht weiter kompliziert, die öffentlichen Brunnen daran anzuschließen. Immerhin hat das Konzept der Mühle sich schon seit vielen Jahrhunderten erfolgreich bewährt.«
»Die Wasserräder in den alten Industriestädten Neuenglands sehen praktisch genauso aus«, sagte Paul und blieb vor einer Hütte stehen, die kaum größer als eine normale Garage war.
»Aber am meisten beeindrucken mich sanitäre Anlagen wie diese Toilette hier. Bei uns zu Hause waren Außenaborte noch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert üblich.«
»Auch ich bin besonders auf diese Einrichtungen stolz«, sagte Francesca und ging langsam weiter. »Nachdem ich mir am Ende eingestanden hatte, dass mein Entsalzungsprozess nie Wirklichkeit werden würde, richtete ich all meine Anstrengungen darauf aus, das Leben dieser armen Wilden zu verbessern. Sie befanden
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