Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
Verwerfungen sichtbar, Furchen und Schrunde, Gegensätze und Bruchlinien innerhalb dieser Gesellschaften: Jung gegen Alt. Reich gegen Arm. Säkulare Werte gegen die der Religionsfanatiker. Frauen gegen Männer. Muslime gegen Christen. Außerdem gibt es natürlich die bekannten Konfliktlinien zwischen Israel und den arabischen Ländern oder dem Iran. Der Okzident gegen den Orient ohnehin. Antagonismen in formierten Gesellschaften, die tiefe Antipathien ausgelöst hatten. Kein Wunder also, dass sich der Dampfkessel, der im Nahen Osten schon seit etlichen Jahrzehnten unter hohem Druck steht, in einigen Ländern in Explosionen entlädt.
Syrien – im Griff der Gewalt
Die Syrer wären froh, hätten sie die Probleme der Ägypter oder Tunesier. Ihre Zukunft sieht weitaus düsterer aus als die der Ursprungsländer des sogenannten arabischen Frühlings. Da keine Partei in Syrien im Augenblick siegen kann, das Land aber über genügend Waffen verfügt, kann der Krieg noch lange dauern. Jahre vielleicht. Das fürchten nicht wenige Syrer. Wenn einer Seite die Munition ausgehen sollte, liefern ihre Unterstützerländer sofort Nachschub. Ebenso Ersatzteile. An der einen Front stehen genügend Hisbollah-Kämpfer bereit, um für die Sache Assads ihr Leben zu riskieren. Die Internationale der Wanderdjihadisten aus Ländern wie Tschetschenien, Libyen, dem Sudan und anderen Ländern wartet hinter der gegenüberliegenden Front nur darauf, in diesen Krieg eingreifen zu dürfen. Nachschub an Material und Menschen gibt es also mehr als genug. Katar und Saudi Arabien kaufen beispielsweise in Afrika und auf dem Balkan Waffen und liefern sie über die Türkei oder Jordanien. Der Krieg in Syrien kann ohne große Unterbrechungen weitergehen. Das Sterben nimmt kein Ende. Das Land steckt in einem Teufelskreis, schreibt eine in Damaskus lebende Bloggerin, die unter Pseudonym auf ZEIT ONLINE schrieb:
»Inmitten all der Zerstörung und dem verzweifelten Versuch, Assad zu stürzen, könnte der Einfluss der Djihadisten zunehmen. Ein willkommener Vorwand für das Regime, noch mehr Gräueltaten zu begehen und sein eigenes Überleben durch weitere unerhörte Massaker zu sichern.«
Das schrieb sie schon Mitte 2012. Sie mahnte damals, zwar die Macht dieser Extremisten nicht zu überschätzen, sieht aber auch den offen zu Schau getragenen Triumph Assads. Am Ende ist seine Verteufelung aller Demonstranten – auch der friedlichen – als Terroristen Wirklichkeit geworden. Sie sind tatsächlich da, die Terroristen, aber nicht als Ergebnis seiner Weitsicht, sondern unter anderem auch als das Ergebnis seiner Politik der Gewalt, die niemand stoppen konnte und niemand stoppen wollte.
Der Westen schon gar nicht. Der verhängt zwar Sanktionen, im Grunde aber sieht er zu und schweigt. Wenn er redet, dann von »Flächenbrand«, von »Waffen in falschen Händen«, von »Krieg in die Länge ziehen«, manchmal sogar von »roten Linien«. Alles nicht falsch, alles bedenkenwert. Wer allerdings energisches Handeln erwartet, wird schnell enttäuscht. Selbst die Franzosen und Engländer sind seit August 2013 nicht mehr bereit, Waffen zu liefern.
Zwei Monate vor dieser Entscheidung sahen sie Waffenlieferungen noch als einziges Allheilmittel an und riskierten sogar einen tiefen Riss in der europäischen Außenpolitik: Im Mai hatten Franzosen und Engländer gegen eine Verlängerung des Waffen embargos der EU gestimmt und sich damit gegen die übrigen 25 EU-Länder gestellt, die das auslaufende Embargo erneuern wollten. Man plane ab August die Aufständischen mit Waffen aufzurüsten, hatten die beiden Länder vollmundig angekündigt. Mit mehr als nur Maschinengewehren und ein paar Handgranaten. Als dann aber der August gekommen war, bekamen sie Muffensausen und ruderten zurück. Der Grund: die »falschen Hände« der Djihadisten, die die Rebellenszene inzwischen dominieren.
Jeder hat natürlich das Recht, eine einmal getroffene Entscheidung später zu berichtigen. Politiker korrigieren viel zu selten ihre Fehler. In diesem Fall demonstrierten Franzosen und Engländer aber die ganze Hilflosigkeit der europäischen Syrienpolitik. Denn außer »keine Waffen liefern« wegen der »falschen Hände« und dem »Flächenbrand« fiel den Außenministern in Paris und London kaum etwas zu Syrien ein. Denen von Resteuropa genauso wenig.
Die Folge dieser Ratlosigkeit ist uns auf unserer Reise immer wieder vorgehalten worden: »Europa lässt uns im Stich!« Von Kämpfern, von
Weitere Kostenlose Bücher