Brennpunkt Nahost
sollen die Ermordeten zeigen. Heute fuhren UN-Beobachter zum ersten Mal in dieses Gebiet nahe Damaskus.
Eine halbe Stunde Autofahrt, die Häuser von Damaskus liegen hinter uns, hier beginnt Rebellenland. Hier verlässt der syrische Geheimdienst den UN-Konvoi. Zu gefährlich für ihn. Kurze Zeit später lotst ein vermummter Aufständischer die Blauhelme durch das Dorf.
Menschenrechtssituation
Organisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International oder die Menschenrechtskommission der UNO werfen beiden Seiten des Konflikts Menschenrechtsverletzungen vor.
Den Aufständischen wirft HRW zum Beispiel vor: Entführungen, Einkerkerungen und Folter von Mitgliedern der syrischen Sicherheitskräfte, Unterstützer der Regierung und Mitglieder der Milizen, die für die Regierung kämpfen. HRW hat auch Berichte von Hinrichtungen dieses Personenkreises erhalten. Rebellenbrigaden haben solche Hinrichtungen und Gefangenenfolter sogar auf Videos dokumentiert, die sie auf YouTube einstellen. In ihrem letzten Bericht (2012) schreibt HRW unter anderem: »Die Oppositionsführer sollten es ihren Anhängern klar machen, dass sie Folter, Entführungen oder Hinrichtungen unter keinen Umständen durchführen dürfen.« Besonders Djihadistengruppen gehen immer wieder rücksichtslos gegen gefangene Soldaten vor, verschonen aber auch nicht Zivilisten. Massenhinrichtungen gefangener Armeesoldaten durch Djihadistengruppen gehören inzwischen zum Kriegsalltag. Es gibt aber auch Belege, dass die FSA sich an gefangengenommenen Gegnern auf solche Art rächt. Die UNO wirft den Rebellen außerdem vor, Kinder als Soldaten oder Boten einzusetzen und Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu benutzen.
Über das Regime Assad schreibt HRW: »Die Geheimdienste betreiben ein Netz von Folterzentren, die über das ganze Land verteilt sind. Wir veröffentlichen deren Lage, beschreiben die dort eingesetzten Foltermethoden und nennen ihre Leiter beim Namen, um ihnen klar zu machen, dass sie sich für diese schrecklichen Verbrechen verantworten müssen.« Nachzulesen in dem Bericht »Torture Archipelago: Arbitrary Arrests, Torture and Enforced Disappearances in Syria’s Underground Prisons since March 2011.«
Elektroschocks, Verätzungen mit Säure, das Abziehen von Fingernägeln und Scheinhinrichtungen gehören zu den gängigen Foltermethoden. Insgesamt dokumentierte Human Rights Watch über 20 verschiedene Foltermethoden, die von Sicherheits- und Geheimdienstkräften angewendet wurden. Einer der rund 200 Befragten beschreibt in dem Bericht die Folter, die er erleiden musste, so:
»Sie zwangen mich, mich auszuziehen. Dann begannen sie, meine Finger mit Zangen zu quetschen. Dann schossen sie mir Heftklammern in Finger, Oberkörper und Ohren. Ich durfte sie erst herausnehmen, wenn ich bereit war, zu reden. Die Klammern in den Ohren taten am schlimmsten weh. Über zwei Kabel, die mit einer Autobatterie verbunden waren, gaben sie mir Elektroschocks. Zweimal benutzten sie Elektroschockpistolen an meinen Genitalien. Ich dachte, ich würde meine Familie nie wieder sehen. Auf diese Weise folterten sie mich über drei Tage insgesamt dreimal.«
Ebenso gehören willkürliche Verhaftungen ohne Rechtsbeistand, Verschwinden lassen und Einschüchterung von Angehörigen zum Alltag auf der Assadseite in Syrien.
Amnesty International kommt zu ähnlichen Ergebnissen.
Deutliche Panzerspuren im Asphalt. Die syrische Armee war also hier.
»Kamera bitte runter!«
Die UN-Sprecherin bittet um Diskretion und Distanz. Zu oft habe sie erlebt, dass Zeugen später verschwunden sind oder ermordet wurden. Doch dann wollen die Syrer selbst zeigen, was hier passiert ist.
Massengräber. Frisch aufgeschüttet. Erst ein paar Tage alt. Wie viele Tote es bei dem Morden gegeben hat, ist unklar. Es müssen aber mehrere Dutzend sein. Hier sollen acht Angehörige einer Familie beerdigt sein. Vermummte Syrer erzählen:
»Die Shabiha-Miliz ist hier eingedrungen und hat alle ermordet. Wir dachten, die Armee beschützt uns, doch dann kam die Shabiha-Miliz, die Assad treu ergeben ist.«
Nachprüfen können wir solche Aussagen kaum. Doch vieles spricht für diese Darstellung. In einem anderen Haus entdecken wir Blutspuren und Einschusslöcher. 17 junge Syrer sollen hier kaltblütig hingerichtet worden sein, erzählen uns Bewohner der Ortschaft. Ohne Kamera. Sie fürchten Rache.
Flüchtlinge
(Stand September 2013)
Mehr als 2 Millionen Syrer haben bisher das Land verlassen, davon waren
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