Brennpunkt Nahost
beenden, der muss fast zwangsläufig neue Vertreibungen, vielleicht sogar Massaker in Kauf nehmen. Wer verlässt schon gerne das Dorf oder den Stadtteil, in dem er aufgewachsen ist? Flüchtlinge und Vertriebene werden zur Bürde jener, die sie aufnehmen sollen. Niemand, der in einem ärmlichen Dorf lebt, teilt gerne auf Dauer mit Menschen in Not, selbst wenn sie zur eigenen Religion oder Ethnie gehören. Außerdem ist es wenig wahrscheinlich, dass demokratische Staaten in solchen Kantonen entstehen. Es werden sich eher Herrschaftsgebiete von Stammesfürsten und Kalifate von selbst ernannten Emiren herausbilden, die sich untereinander bekämpfen.
Ähnlich sieht es auch bei den syrischen Kurden aus. Sie haben zwar im Nordosten des Landes ihr geschlossenes Siedlungsgebiet und versuchen es freizukämpfen von der Zentralregierung in Damaskus und den arabischen Rebellen in Nordsyrien. Doch allein in Damaskus leben über eine Million Kurden, die möglicherweise in das Kurdengebiet zurückdrängen oder gedrängt werden. Nicht unbedingt nur zur Freude der dort schon lebenden Kurden. Und ob die Türkei einen solchen autonomen Staat lange hinnehmen wird, ist mehr als fraglich. Schließlich könnte er Vorbild sein für die eigenen Kurden.
Hundert Jahre später – Irak
Auch in den Nachbarstaaten lässt sich schon seit Jahren der Zerfall der alten von den Kolonialmächten geschaffenen Ordnung beobachten. Aus drei osmanischen Provinzen, Mosul, Bagdad und Basra, hatten die Briten 1920 den Irak zusammengebackenen und Feisal I, einen der Söhne des Scherifen Hussein von Mekka, als König eingesetzt. Keine sehr glückliche Wahl für das Land; denn Feisal I hatte als Nicht-Iraker keine eigene Hausmacht, war also auf die Unterstützung der Briten angewiesen. Außerdem war die von den Briten bestimmte Übergangsregierung von Sunniten dominiert, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung Schiiten sind. Diese Vorherrschaft der Sunniten, die schon zur Zeit des Osmanischen Reichs bestanden hatte, hielt sich bis zum Sturz von Saddam Hussein.
Grob gesagt leben in diesem Staat auch heute noch im Norden die Kurden, im Zentrum die Sunniten und im Süden und Osten die Schiiten. Bis 2003 hatte die Diktatur Saddam Husseins das Land zusammengezwungen und mit Hilfe der Geheimdienste, Gefängnisse und Giftgas geherrscht. Heute haben sich im Norden die Kurden praktisch schon losgelöst von der neuen schiitischen Zentralregierung in Bagdad. Sie haben inzwischen ihre eigene Armee aufgestellt, die unter anderem ihre Grenze mit dem arabischen Teil des Iraks schützen soll. Dort kommt es immer wieder zu Scharmützeln zwischen den kurdischen Peschmergas und der regulären irakischen Arme. Einer der Gründe: Die Kurden beuten das auf ihrem Gebiet gefundene Öl selbst aus, haben Verträge mit Ölfirmen, die die Zentralregierung in Bagdad für illegal erklärt. Sie verkaufen ihr Öl ohne Absprache mit der Zentralregierung, die das irakische Öl selbst vermarkten will. Bis 2019 will das kurdische Ölministerium etwa zwei Millionen Barrel pro Tag fördern und verkaufen. Eine eigene Pipeline in die Türkei wird schon gebaut. Das Land wird von zwei kurdischen Familien regiert, die sich nur wenig um die Zentralregierung kümmern. Zudem sitzen noch kurdische Abgeordnete im irakischen Parlament, können also auch dort Politik mitbestimmen. Der Präsident des Irak ist ein Kurde, also oberster Repräsentant eines Landes, aus dem die Kurden sich schon verabschiedet haben.
Muslimbrüder
Hassan al-Bana, der 1928 die Muslimbruderschaft gegründet hatte und bis zu seiner Ermordung 1949 ihr Oberster Führer blieb, verlangte von seinen Anhängern unbedingten Gehorsam:
»Mit Gehorsam meine ich volle Einhaltung der Befehle der Führung und sofortige Ausführung dieser Befehle im Schwierigen wie im Guten, gleich ob ihre Ausführung Euch gefalle oder missfalle.«
Die Ideenwelt der Muslimbrüder, die von einem starken Schwarz-Weiß- und Gut-Böse-Denken und einer moralisierenden Weltsicht geprägt ist, fasste al-Bana so zusammen:
»Allah ist unser Ziel. Der Prophet unser Vorbild. Der Quran ist unsere Verfassung. Der Djihad ist unser Weg. Der Märtyrertod auf dem Pfad Gottes ist unsere größte Hoffnung.«
Diese Zitate stammen zwar aus der Anfangszeit der Muslimbruderschaft, sie gelten aber bis in die Gegenwart und spielen auch heute noch eine aktive Rolle im Denken der Muslimbruderschaft.
Die Muslimbruderschaft ist dabei sich zu ändern – der Gewalt haben sie schon in den
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