Brennpunkt Nahost
autoritärer Herrschaft. Statt von Europäern wurden die Syrer, Iraker und all die anderen arabischen Staaten nach und nach von einheimischen Militärherrschern geknebelt, den Nassers, Assads oder Gaddafis. Ihre Politik war der Anti-Kolonialismus, ihre Ideologie nannte sich »arabischer Sozialismus« oder Panarabismus. Sie ließen sich von ihrer Bevölkerung als Befreier vom kolonialen Joch umjubeln und fast wie Erlöser feiern. Wer sich dieser Quasi-Anbetung allerdings verweigerte, musste teuer bezahlen. Gefängnis, Folter und Todesurteile gehörten seit den fünfziger Jahren in vielen dieser Länder zum Alltag. »Die Republik der Angst« nannte der irakische Schriftsteller Samir al-Khalil den Irak Saddam Husseins in einer brillanten Analyse, von einer »Mauer der Angst« sprechen Oppositionelle in Syrien.
Zum Alltag der Menschen in den meisten Ländern des Nahen Ostens gehören auch Zensur und Gleichschaltung der Medien. Diese mussten militärische Niederlagen oft genug zu Siegen umschreiben, manipulierte Wahlen als die wahre Demokratie preisen oder Kritik aus dem Ausland als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes brandmarken. Die Propagandamaschinen liefen auf Hochtouren jeden Tag. Eine Gegenöffentlichkeit gab es so gut wie nicht und wenn, dann meistens im Exil. Um heimische Opposition zu ersticken, hatten die Regime nahezu perfekte Spitzelsysteme aufgebaut nach den Vorbildern und unter der Anleitung der DDR oder der Sowjetunion. Auch die CIA half kräftig mit, wenn Bedarf war. Und Bedarf war fast immer. Denn die zunehmende Globalisierung sorgte immer häufiger dafür, dass mehr Informationen ins Land kamen, als den Herrschenden lieb war.
In Syrien hatte Baschar al-Assad zwar den Aufbau eines Internet-Netzes gefördert, Meinungsfreiheit aber nicht zugelassen. Die Menschen lebten also in einem großen Gefängnis, in dem sie die bunten Bilder und Nachrichten von einer Welt draußen per Internet empfangen konnten. Hätte er sein Machtmonopol und das seines Clans aufgegeben und seinem Volk mehr Mitsprache eingeräumt, dann wäre vermutlich das System Assad schnell zusammengebrochen. Zum Erbe, das er von seinem Vater übernommen hatte, gehörte auch das Massaker von Hama 1982. Damals beendete Hafiz al-Assad eine Terrorkampagne der syrischen Muslimbrüder, in dem er ihre Hochburg, die Stadt Hama, komplett zerstören ließ. 20 000 Menschen sollen damals ums Leben gekommen sein. Aber nicht nur die Herrschaft des Assad-Clans wäre zerbrochen, mit ihr auch die von den Franzosen begünstigte Vorherrschaft der Alawiten in Syrien. Dafür hätte sicherlich die sunnitische Mehrheit des Landes gesorgt. Die Herrschenden haben sie zu oft gedemütigt, haben Versprechen gebrochen. ›Die da oben‹ waren allzu gut als korrupt und raffgierig bekannt, selbst nach oben zu kommen war fast unmöglich und nur um den Preis, die Vormacht der Minderheit anzuerkennen. Alle diese Erfahrungen haben nicht nur die Syrer machen müssen, genauso die Ägypter, Tunesier und die Menschen in anderen arabischen Ländern. Sie haben mit zu den Aufständen in Tunesien und Ägypten und zum Bürgerkrieg in Syrien geführt und lassen kaum noch Raum für Kompromisse.
Heute, fast hundert Jahre nach dem britisch-französischen Abkommen, sieht es eher so aus, als werde sich diese künstliche Ordnung der ehemaligen Kolonialmächte wieder zerlegen in die Kerngebiete der Religionen und Ethnien. Das alte Alawiten-Gebiet entlang des Mittelmeers, das über einen Korridor mit der Hauptstadt Damaskus verbunden ist, für die Alawiten. Dort können sie sich eingraben und einen Sunnitensturm überstehen.
Die syrischen Kurden beanspruchen den Osten des Landes als autonomes Kurdistan. Das Zentrum und der Norden Syriens werden vielleicht den Sunniten vorbehalten bleiben. Ein Syrien also aufgeteilt in Kantone, die sich spinnefeind sind. Insofern schlechte Voraussetzungen für eine friedliche Zukunft des Landes. Hinzu kommt: Alawiten leben inzwischen über das ganze Land verstreut. In Damaskus gibt es von Alawiten geprägte Stadtteile, in Homs leben sie mit einer anderen Minderheit, den Christen, in einem Stadtteil Haustür an Haustür. In Aleppo wird der alawitische Stadtteil von den Aufständischen immer wieder angegriffen. Ein großer Teil der Alawiten lebt also weit entfernt von ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet am Mittelmeer. Wer daran denkt, Syrien in ethnische und religiöse Kantone aufteilen zu können, um so den Bürgerkrieg zu
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