Brennpunkt Nahost
siebziger Jahren abgeschworen. In diesem Punkt unterscheiden sie sich zum Beispiel deutlich von der Hamas. Der Kommandostil und auch der Führerkult sind nicht eben beliebt bei Ägyptens Jugend.
Wegen ihrer Wohlfahrtsprogramme waren sie in der Bevölkerung angesehen. Sie behandeln in eigenen Krankenhäusern die Armen billiger und besser als staatliche Krankenhäuser. Außerdem konnten die Armen in Ägypten (etwa vierzig Prozent der Bevölkerung leben am Rande oder unter dem Existenzminimum) immer mit ihrer Hilfe rechnen, durften allerdings auch deren islamistische Ideologie zumindest nicht in Frage stellen.
Die Hamas im Gazastreifen wurde von den ägyptischen Muslimbrüdern gegründet. Diese unterhalten wiederum enge Verbindungen zur ›Islamic Action Front‹ in Jordanien und zu ihren syrischen Muslimbrüdern.
Im Zentrum des Landes haben 2013 die Anschläge sunnitischer Extremisten gegen schiitische Wohngebiete wieder dramatisch zugenommen. Allein von Januar bis Ende Juli starben 4 137 Menschen, über 7 000 wurden verletzt, während des Ramadan, eigentlich einer Zeit des Friedens, starben mindestens 300 Iraker bei Anschlägen mit Autobomben und Selbstmordattentätern, im August, nur einen Monat später, sogar 800. Auch im rein schiitischen Basra und Kerbala kommen Menschen durch Autobomben ums Leben. Zu den meisten dieser Terroranschläge haben sich Ableger der Gruppe der sunnitischen Al-Qaida im Zweistromland bekannt, der es im Juli 2013 sogar gelungen war, bei einer spektakulären Aktion über 500 Terroristen aus zwei Gefängnissen zu befreien. Das irakische Innenministerium spricht inzwischen von »einem offenen Krieg konfessioneller Kräfte«. Die Polizeikräfte des Ministeriums und das Militär sind auch ein halbes Jahr nach Abzug der Amerikaner nicht in der Lage, für Sicherheit im Land zu sorgen.
Seinen Anteil an dieser Entwicklung hat auch der schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der mit einer instabilen schiitischen Mehrheit im Parlament regiert. Versöhnung zwischen den verfeindeten Konfessionen wäre das Gebot der Stunde gewesen, spätestens nach dem Abzug der amerikanischen Truppen im Dezember 2011. Nur so ließe sich das Land stabilisieren. Doch statt nach Versöhnung mit der sunnitischen Minderheit zu suchen, gießt Maliki lieber Öl ins irakische Feuer: Er grenzt sunnitische Politiker aus und lässt sie wie im Fall des Vizepräsidenten Tariq al-Hashemi sogar von der Justiz verfolgen oder versucht sie als Anhänger von Saddam Hussein und der verbotenen Baathpartei zu diffamieren. Sunnitische Gegendemonstrationen lässt er brutal niederknüppeln. Im April hatten Polizei und Militär eine sunnitische Protestversammlung zerschlagen mit Dutzenden von Toten. Inzwischen verlangen sunnitisch dominierte Provinzen einen ähnlich autonomen Status, wie ihn sich die Kurden erstritten haben. Der Graben zwischen den Religionen vertieft sich zunehmend im Irak, obwohl diese Autonomiebestrebungen zunächst nichts mit den Konfessionen zu tun hatten. Auch Provinzen mit schiitischer Mehrheit verlangen mehr Unabhängigkeit von der Zentralmacht in Bagdad. Premierminister Nuri al Maliki macht in keine Richtung Zugeständnisse. Allerdings unterwerfen sich schiitische Provinzgouverneure eher diesem Diktat des schiitischen Regierungschefs als sunnitische, die sich zunehmend als Bürger zweiter Klasse fühlen.
Letztendlich hält al-Maliki an der Herrschaftsform fest, die die britischen Gründerväter des Landes 1920 eingerichtet hatten und die dann von Saddam Hussein zementiert wurde: Eine Konfession dominiert die anderen im multikonfessionellen Irak und schließt diese von wichtigen politischen Prozessen aus. Bis 2003 waren die Sunniten die dominierende Konfession. Der einzige Unterschied heute also: Im neuen Irak sind die Dominierenden diesmal die Schiiten, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. Sunniten fühlen sich an den Rand gedrängt, isoliert, von jeder politischen Teilhabe ausgeschlossen. Die Machtbesessenheit und Sturheit al-Malikis führt letztendlich wohl zu einem Bruch zwischen den Konfessionen. Ein Krieg der Religionen wird damit im Irak immer wahrscheinlicher. Im Nachbarland Syrien ist ein solcher Krieg längst ausgebrochen. Die irakische Regierung verhält sich in diesem Konflikt nicht neutral, sondern ergreift Partei und gerät so immer mehr in den Sog dieses Bürgerkriegs. Der Schiit Maliki unterstütz den Alawiten Assad, die sunnitische Minderheit die sunnitischen Aufstände jenseits der
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