Brennpunkt Nahost
Grenze. Und aus dem Irak strömen immer mehr Djihadisten an die syrische Front. Kehren sie in ihre Heimat zurück, dann sind sie so etwas wie die kampferprobte Speerspitze der sunnitischen Extremisten gegen die schiitische Bevölkerung.
Wie lange die schleichende Erosion dieser Staaten dauern wird, lässt sich im Augenblick kaum sagen. Auch nicht, welche Staaten noch in diesen Strudel mit hineingesogen werden können. Und schon gar nicht, wann es wieder stabile Ordnungen in dieser so wichtigen Weltregion geben wird. Sagen lässt sich nur so viel: Der syrische Bürgerkrieg strahlt gefährlich auf die Nachbarstaaten ab. Der Flächenbrand hat schon begonnen, wenn auch noch auf kleiner Flamme.
Gefährdet sind von diesem Zerfall auch Länder wie der Libanon, den im Augenblick wohl mehr die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg notdürftig zusammenhält als die Fähigkeit staatlicher Institutionen. Der Zedernstaat ist ebenfalls gespalten in Sunniten und Schiiten, die sich immer unversöhnlicher gegenüberstehen. Besonders deutlich wird dies in der Hafenstadt Tripoli. Genauso wie im benachbarten Syrien und im Irak ist der Libanon gespalten in Schiiten und Sunniten. Die sunnitischen Parteien des Libanon hatten in den letzten Jahren kontinuierlich an Einfluss verloren, die schiitische Hisbollah dagegen war immer stärker geworden. Die letzte Regierung des Sunniten Nadschib Miqati war eine von der Partei der Gotteskrieger installierte und geduldete.
Die Hisbollah hat sich offen auf die Seite Baschar al-Assads geschlagen, die sunnitischen Parteien und Bewegungen im Libanon helfen den Aufständischen in Syrien. Katar und Saudi Arabien investieren in die sunnitischen Unterstützer, der Iran in die Hisbollah und in die 20 000 Alawiten der Hafenstadt Tripoli, die auf dem Jabal Mahseen leben, einem Hügel hoch über der Stadt. Eingeschlossen ist dieser Hügel von dem Wohnviertel Bab el-Tebbaneh, in dem rund 200 000 Sunniten wohnen. Auch wenn sie auf engstem Raum zusammenleben müssen, beide Religionsgruppen beobachten sich tagtäglich mit unverhohlenem Hass.
Die Straßen des alawitischen Hügels sind dekoriert mit überlebensgroßen Porträts von Hafiz al-Assad und seinem Sohn Baschar und geschützt durch Straßensperren, die Straßen des sunnitischen Viertels rund um den Hügel mit Bildern von Märtyrern geschmückt. Von jungen Männern also, die bei den regelmäßigen Straßenschlachten zwischen alawitischen Kämpfern oben und sunnitischen Bewaffneten unten ums Leben gekommen sind. Ausgebrannte Häuser gibt es auf beiden Seiten. An manchen Stellen leben die verfeindeten Libanesen nur dreißig Meter voneinander entfernt. Die Fenster solcher Häuser sind auf der dem Feind zugewandten Seite zugemauert bis auf schmale Schießscharten.
Einer der Islamistenführer Masem al-Mohammed am Fuß des Berges erklärte uns bei einem Besuch in seinem Viertel:
»Diese Alawiten da oben gehorchen anderen Mächten, die nichts mit unserem Staat zu tun haben. Sie sind keine guten Bürger. Sie gehorchen Baschar al-Assad, nicht dem Libanon. Wir trauen ihnen nicht. Außerdem haben Alawiten den Islam verraten.«
Und als wir dann den Hügel nach oben gefahren waren zu Ali Fidaa, einem jungen Alawitenpolitiker, bekamen wir zu hören:
»Diese Leute da unten wollen eine religiöse Spaltung. Sie exportieren ihre extremistischen Ideen in den Libanon und nach Syrien. Wir sind mit allen Kräften dabei, diesen Extremismus zu bekämpfen.«
Getrennt sind die beiden verfeindeten Gruppen durch eine rund um den Hügel führende Straße, deren Name nicht zynischer sein könnte. Sie heißt ›Syrian Street‹. Klein-Syrien mitten im Libanon. Versöhnung ausgeschlossen!
Besonders seit jenem 23. August 2013, als kurz nach Ende des Freitagsgebets vor zwei Moscheen in Tripoli zwei Autobomben explodierten. Die ersten Gläubigen waren gerade dabei, die Gotteshäuser zu verlassen, als die beiden Bomben sie zerrissen. Über vierzig Menschen kamen ums Leben. Hunderte Menschen wurden verletzt. Alle Opfer waren Sunniten. In beiden Moscheen hatten radikale Salafisten-Scheichs gepredigt, die schon in der Vergangenheit in ihren Brandreden immer wieder versucht hatten, junge Libanesen zum Kampf gegen Assad anzustacheln.
Wer steckt hinter diesem Anschlag? Vermutlich war er ein Racheakt für die mit 60 Kilogramm Sprengstoff gefüllte Bombe, die eine Woche zuvor ein Selbstmordattentäter in der Hisbollah-Hochburg Beiruts gezündet hatte. Über zwanzig Menschen starben bei diesem
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