Brennpunkt Nahost
pro Woche. Der Tourismus, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes, ist dramatisch geschrumpft. Zwischen dreißig und maximal fünfzig Prozent sind die Hotels belegt. Und solange protestiert wird, solange die Bilder Steine werfender Jugendlicher, Tränengas abfeuernder Polizisten und brennender Autos um die Welt gehen, solange es Tote in den Straßen der ägyptischen Städte gibt, solange werden die Touristen auch nicht zurückkommen. Für viele Ägypter schlicht eine Katastrophe. Rund vier Millionen Ägypter leben direkt oder indirekt zu normalen Zeiten vom Tourismus.
Durch ihre schlechte Regierungsführung haben die Muslimbrüder aus Anhängern und Wählern Gegner, ja sogar Feinde gemacht. Auch deswegen sind die wieder auf die Straße gegangen, haben Unterschriften gesammelt und den Rücktritt Mursis gefordert. Dessen Politik lässt sich mit einem einzigen Begriff beschreiben. Es war eine Politik der Inkompetenz, die Ägypten in ein Desaster gestürzt hat.
Es wäre aber falsch, die ägyptischen Generäle nun als Heilsbringer und Demokratieretter zu feiern, wie es viele Ägypter getan haben und auch heute noch tun. Den Militärs kam der kleine Volksaufstand der Tamarod-Bewegung gerade recht. Die unzufriedenen Jungrebellen gegen Wirtschaftskrise und Islamistenideologie lieferten unfreiwillig eine demokratische Kulisse für einen nicht demokratisch gemeinten Staatsstreich. Mehr Demokratie ist wohl kaum dessen Ziel.
Ägyptens Generäle steuern die ägyptische Politik schon seit Nassers Zeiten, und daran wollen sie offensichtlich auch in Zukunft nichts ändern. Der blutige Machtkampf zwischen den beiden Lagern, den Muslimbrüdern und dem Militär und der Übergangsregierung, hat einen tiefen Graben in dem Land aufgerissen. Denn auch die Muslimbrüder zeigten keine Kompromissbereitschaft. Ihnen war bei den Kämpfen um die Rabaa-al-Adawija-Moschee Märtyrertum wichtiger als Machtteilung. Das Versöhnungsprojekt, das am Tag des Putsches vollmundig als Grundvoraussetzung für ein friedliches Ägypten angekündigt worden war, ist schon einen Monat später gescheitert. Es ist so gut wie unwahrscheinlich, dass sich Muslimbrüder nach dem blutigen 14. August noch in eine Regierung der nationalen Einheit einbinden lassen. Ein Teil der Brüder wird vielleicht sogar in den Untergrund gehen.
Den Boden für diesen Staatsstreich haben die Muslimbrüder unfreiwillig selbst bereitet. Denn den von Mubarak über Jahrzehnte aufgebauten Sicherheitsapparat, der sie vor der Januarrebellion 2011 oft gnadenlos verfolgt hatte, hatten sie so gut wie unangetastet gelassen. Im Oktober 2012 stellte zum Beispiel Amnesty International in einem Bericht fest, die neue Regierung habe eine große Chance verspielt: »Präsident Mohammed Mursi hat die historische Chance, mit dem blutigen Vermächtnis von Polizei und Armee zu brechen. Er muss sicherstellen, dass die Sicherheitsorgane zukünftig nicht mehr außerhalb des Gesetzes stehen.« Doch davon war er laut dem Amnesty-Bericht noch weit entfernt, wahrscheinlich wollte er gar nichts ändern. Hätte er eine grundlegende Reform gewollt, dann hätte er die alte aus der Mubarak-Zeit stammende Polizei völlig zerschlagen müssen. Stattdessen glaubte er offensichtlich, er könne seine Macht mit Hilfe dieses alten Sicherheitsapparates festigen. Ruth Jüttner, Nahostexpertin von Amnesty International, sagte im Oktober 2012 auf einer Pressekonferenz in Kairo. »Wir haben auch festgestellt, dass die Polizei wie unter Mubarak weiterhin Gefangene misshandelt und foltert. Eine Reform muss die tief verwurzelte Kultur der Misshandlung und des Machtmissbrauchs beenden. Eine unabhängige Instanz zur Kontrolle der Polizei muss geschaffen werden. Verschiedene Innenminister haben schon angekündigt, die Polizei zu reformieren. Aber alle bisherigen Reformen haben nur an der Oberfläche gekratzt.« Dieser Vorwurf galt 2012 besonders dem Innenminister der Regierung Mursi, Ahmed Gamal Ei-Dhin. Ganz offensichtlich hatte sich die Lage der Menschenrechte nicht verbessert, seit Mohamed Mursi sein Amt angetreten hatte. Die gleichen Vorwürfe hatten Amnesty international und Human Rights Watch nämlich schon ein Jahr zuvor geäußert. Damals hieß der Innenminister, dem Polizei und Staatssicherheit unterstehen, Mohamed Ahmad Ibrahim, ein ehemaliger hoher Polizeioffizier Mubaraks, einem in der Wolle gefärbten Law-and-Order-Mann.
Ein Vierteljahr nach dieser eindringlichen Mahnung von Amnesty beschuldigen ägyptische
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