Brenntage - Roman
Siedlung aufhört, leben die Bösen
(und Reichen?), sagte er.
Sie leben dort in ihrem Gesinnungsmüll
, behauptete mein Onkel, und um dies zu bekräftigen, schüttelte er wild die Fäuste und stieß ein paar kräftige Flüche aus.
Doch schon bald war alles vergessen, denn selbst die Bösen (oder Reichen) folgten unserer Tradition, stapelweise türmten sie ihr Gerümpel in den Vorgärten auf und ließen den Flammen ihren Lauf. Gewiss doch, der Unrat der reicheren Nachbarn unterschied sich ganz wesentlich von dem unsrigen, enthielt er doch allerlei nützliche Dinge, nahezu neuwertigund von bester Qualität waren sie, die Bösen verbrannten, was wir benötigt hätten, und wir verachteten sie, weil dies die einzige Möglichkeit war, unseren Unmut auszudrücken.
Einmal im Jahr gab es tatsächlich Gerangel vor den Häusern der reicheren Familien, die Verwaltung, die Nachbarn und allerlei fahrende Händler, die ganze Siedlung war auf den Beinen, man stritt sich um die besten Stücke einer mutwillig abgelegten und immer noch schönen, jedoch böseren (oder vielleicht sogar heileren) Welt. Es hieß damals, lieber die Vergangenheit eines Böseren zu seiner Gegenwart erheben, als gar keine Herkunft zu haben, keine Zukunft oder Hoffnung auf bessere, sorglosere Zeiten.
Die wohlhabenden Nachbarn waren sich all dessen wohl gar nicht bewusst, sie pflegten unsere Bräuche und grüßten freundlich, doch wir hassten sie und ließen keine Gelegenheit aus, dies zum Ausdruck zu bringen. Manchmal löschten wir mutwillig ihre Feuer oder warfen Fensterscheiben ein, sobald sie sich abwandten, wir verprügelten ihre Kinder und verwüsteten die liebevoll angelegten Gärten, allerdings, wir ließen es stets so aussehen, als wären wir selbst die Opfer, wir schlugen uns gegenseitig Veilchen und zertraten auch die Tulpen und Nelken in den eigenen Gärten. Auch wir wollten beklagen, welchen Verlust wir erlitten hatten und dass der unsrige mehr zählte als der ihrige und dass wir die besseren Menschen waren … Wir Kinder glaubten tatsächlich daran, dass die Welt so beschaffen war.
Nach und nach verbrannte ich alles, was mir unter die Finger kam, alte Bücher und Notate, Kleidung, Tücher, Schuhsohlen und Kassetten, Zigarettenschachteln (die ich lange Zeit sammelte), Heldenfiguren und Comics, Schallplatten (die mir gar nicht gehörten), Trockenblumen, Tierpräparate (der Onkel brachte mir manches bei), Spielbretter und noch vieles mehr, eigentlich alles, was mir von ideellem Wert schien. In meiner Kindheit, wenn der Onkel viel Zeit und offenbar kein geregeltes Einkommen hatte, fing er mir manchmal Vögel und Frettchen, die er tötete, ausnahm, trocknete und konservierte, er präparierte sie für mich, kämmte und zupfte an ihnen herum, so lange, bis sie schließlich normalen Plüschtieren glichen. Allerdings war dieses echte
Spielzeug
allen nur denkbaren Teddybären und Gummischlangen um Längen voraus, wo es doch einst tatsächlich gelebt und für mich allein mit dem Leben bezahlt hatte. Lapidar meinte der Onkel, all die Tiere würden gerne ihr Leben lassen, um einen Jungen wie mich glücklich zu machen, sie wollten nur mir gehören, mich betören, mit ihrer Schönheit und den ihnen innewohnenden Kräften.
Ich gehöre dir, will dich trösten und dein Freund sein, mit dir spielen, mit dir frieren, der Tod ist ein Geschenk, bedenk, bedenk! Amen
, sagten der Onkel und ich im Chor, obwohl ich mir nie sicher war, ob so ein endgültiges Wort wie
Amen
nicht alles zunichtemachte.
Die Brenntage selbst waren oft genug Anlass für wilde Spekulationen … als etwa der Hund des Bäckers abhandenkam (den keiner leiden mochte) oder die Nachbarsköchin spurlos verschwand, als ein junges Mädchen im Teich untertauchte und die Luftblasen jählings abrissen, sie wurde von keinem je wieder gesehen. Viele Erinnerungen gingenauch im Laufe der Jahre verloren, ich selbst habe längst damit aufgehört, die Welt verstehen zu wollen, der Onkel behauptete sogar, dass wir im Augenblick unserer Geburt alles ins Feuer stießen, dass wir verglühten allesamt in einem Feuerball und hinterließen keinerlei Spuren.
Ich lebte mit meinem Onkel und der Tante in einem der Häuser am Waldrand … dort, wo sich die Birken, die überall in der Ebene zu finden waren, allmählich (und durchaus widerwillig) mit Fichten und Kiefern mischten. Eines der Lieblingsrezepte meiner Tante hieß bezeichnenderweise
Scheiterhaufen
… Sie schälte Äpfel und schnitt sie in kleine, sichelförmige
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