Bretonische Verhältnisse
Wille.«
Dupin drehte sich vorsichtig um, er blieb stehen, wo er war.
»Nur einmal, einmal hatte er Mut. Ein einziges Mal. Er hatte es gar nicht geplant, aber in einem Moment, da hatte er den Mut, es seinem Vater zu zeigen. Sein Vater, er hat ihn zerstört, er hat seinen eigenen Sohn zerstört. Er hat ihn immer spüren lassen, für wie schwach er ihn hielt. Dass er nichts wert war, kein echter Pennec, noch mehr nach dem Tod der Mutter. Und dieses ewige Hinhalten. Aber einmal hat er sich gewehrt. Er musste das tun. Ja. Er musste das tun. Einmal hat er die Kraft gehabt. In dieser einen Nacht.«
Sie stockte. Es sah so aus, als schüttelte sie ein wenig den Kopf.
»Ist das keine Ironie? Das Messer war ein Geschenk von seinem Vater, da war er noch ein junger Mann. Sein Laguiole. Es war ihm heilig.«
Einen kurzen Augenblick war ein gespenstisches Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen, dann glitten die Gesichtszüge zurück in ihre Starre.
»So lange schon warten wir auf unser Leben. Wir haben gewartet und gewartet, seit Jahren, Jahrzehnten – er wollte nicht sterben. Immer nur gewartet. Das war doch alles unser. Das Hotel. Das Bild. Das Bild hätte alles möglich gemacht. Ein anderes Leben. Mein ganzes Leben.«
Catherine Pennec hatte den Kopf gehoben und blickte Dupin für einige Momente in die Augen, sie wirkte jetzt ganz aufgeräumt.
»Hat André Pennec Ihnen das erzählt? Ja? Das ist die Wahrheit. So geht die Wahrheit. Mein Schwiegervater war unendlich starrsinnig. Ein fürchterlicher alter Mann. Was hatte er von dem Gemälde? Es hing da. Die ganze Zeit. Niemand hatte was davon. Er hatte vielleicht nur noch ein paar Tage zu leben. Wenn wir das gewusst hätten. Ein paar Tage. Wir dachten, er hätte das Testament bereits geändert.«
Catherine Pennec sprach, als würde sie etwas logisch darlegen wollen, eine systematische Argumentation, ganz ohne Emotion. Ihre Augen waren wieder starr auf den Fußboden gerichtet.
»Wir wussten von der Schenkung. Er hat es meinem Mann an diesem Abend gesagt. Er hat gesagt, dass er es tun wollte. Sie haben sich gestritten. Wir haben uns nur genommen, was uns gehört. Das Bild gehört uns. Warum sollte das Museum den Gauguin bekommen? Es gehörte immer schon der Familie. Mein Mann hatte Rechte. Einmal, ein einziges Mal hat er gehandelt. Und dann war er plötzlich weinerlich. Erbärmlich weinerlich. Und wollte alles gestehen. Er würde es nicht ertragen, hat er gejammert. Er war so bemitleidenswert. Das konnte ich nicht zulassen, für ihn selbst nicht. Ich musste handeln. Er hätte alles kaputt gemacht. – Sein Vater hat ihn zu Recht verachtet. – Oh ja. Sein Leben lang hat er ihn verachtet, auch wenn er es nicht wollte. Zutiefst verachtet.«
Wieder blickte sie Dupin geradewegs in die Augen, kalt, ganz selbstsicher.
»Ich auch! Auch ich habe ihn verachtet, ja. Es wäre alles möglich gewesen. Es war da, alles war da. Ist es das, was Ihnen André Pennec erzählt hat? Ja?«
Dupin schwieg.
»Hat sich André Pennec an Sie gewandt, ja? Hat er es nicht ausgehalten?«
»Nein. Er kam das Gemälde holen. Er sollte es ja baldmöglichst nach Paris bringen. Wir haben ihn in Le Pouldu festgenommen. Er befindet sich auf dem Weg zur Präfektur.«
Noch einmal brach Catherine Pennec ganz unvermittelt in ein hohes Lachen aus. Sie schüttelte wie in Trance für einen Augenblick den Kopf und verharrte dann erneut ganz bewegungslos.
»Woher wussten Sie, wo es war?«
Dupin meinte in Ihren Augen plötzlich Angst zu sehen. Ihre Stimme war indes ganz fest.
»Ich vermutete, dass Sie es haben mussten. Und dass Sie es verstecken mussten, erst einmal.«
»Warum ich?«
»Es war nicht etwas, was Sie gemacht oder gesagt haben – es war das Fehlen von etwas. Alle hatten Angst um das Bild. Nur Sie nicht. Nur wer es besaß, musste keine Angst haben. In unserem Gespräch am Morgen nach dem Einbruch haben Sie und Ihr Mann nicht einmal nachgefragt, was es mit dem Vorfall auf sich hatte. Und wenn es unter irgendeinem Vorwand gewesen wäre. Und gestern dann, als wir offen über das Bild sprachen, sind Sie ebenso nicht ein einziges Mal auf den Einbruch zu sprechen gekommen. Wäre es nicht schon bei Ihnen in Sicherheit gewesen, hätten Sie, zu Recht und trotz aller Trauer, Ihre Sorge um das Bild geäußert. Es waren Ihre vierzig Millionen Euro. Zu dem Zeitpunkt wussten Sie schon, dass es nun ganz regulär Ihr Eigentum war. Eine rechtmäßige Erbschaft. Sie hätten beunruhigt sein müssen und waren es nicht im
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