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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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Ganze sollte ein Ende haben. Mehr interessierte ihn nicht.
    Es war jetzt Viertel nach fünf. Dupin hatte über vier Stunden gewartet. Er hasste das. Nichts tun zu können.
    Er war die ganze Zeit von einem Ende des Wäldchens zum anderen gelaufen. Er hatte das Gefühl, jeden einzelnen Baum zu kennen, jeden Brombeerbusch, jeden Farn. Er hatte aus Langeweile gezählt, wie viele Eichen, Lärchen, Buchen und Kastanien jeweils im Wäldchen standen, interessant, es waren deutlich mehr Eichen. Und er hatte den höchsten Farn gesucht. Und den Baum mit den meisten Misteln. Er mochte Misteltee sehr gerne. Er hatte drei Mal mit Nolwenn telefoniert, immer hatte er einen gewichtigen Grund gehabt, sie anzurufen. Und nie waren mehr als zehn Minuten vergangen. Nolwenn wusste, wie sehr er das Warten hasste. Er hatte sie mit wenigen Sätzen auf den neuesten Stand gebracht. Sie hatte keine Fragen gestellt. Vor allem hatte sie nicht von Locmariaquer angefangen – und was alles an unaufschiebbaren Dingen anlag. Sie hatte ihn nur daran erinnert, seine Schwester anzurufen. Das Handy hatte sicher weitere zehn Mal geklingelt, er hatte die Nummern gesehen und es klingeln lassen. Nur als Reglas angerufen hatte – sein vierter Versuch seit heute Morgen –, war er rangegangen. Auch weil er doch ein wenig ein schlechtes Gewissen hatte. Und vielleicht gab es wirklich etwas Neues. Reglas war immer noch außer sich gewesen, Dupins Verhalten käme einem Boykott seiner Arbeit gleich. Dupin war viel zu wenig bei der Sache gewesen, um sich aufzuregen. Er hatte weiterhin keinen Impuls verspürt, Reglas in irgendetwas einzuweihen. Zuletzt hatte Reglas missmutig in knappen Worten von der bisher ergebnislosen Untersuchung der Kopie im Museum berichtet und das »offizielle Resultat« der Untersuchungen an den Klippen mitgeteilt: »Undeutliche Hinweise auf die Anwesenheit einer zweiten Person, belastbare Spuren sind allerdings nicht zu dokumentieren.« Es hatte sich also gar nichts Neues ergeben.
    Dupin hatte Hunger. Und vor allem Durst. Er hatte weder an Essen noch an etwas zu trinken gedacht. Im Auto lag eine Flasche Volvic, aber das half nichts, er konnte nicht weg. Er hätte Riwal doch wiederkommen lassen sollen. Er musste sich ablenken. Vielleicht würde er wirklich seine Schwester anrufen.
    Er griff nach seinem Handy.
    »Lou?«
    »Bist du es?«
    »Ja.«
    »Hast du den Übeltäter dingfest gemacht?«
    »Was?«
    Sie lachte.
    »Du hattest vorgestern angerufen, hat Nolwenn mir ausgerichtet. Was machst du so?«
    »Du wartest irgendwo auf irgendjemanden, hab ich recht?«
    »Ich …«
    »Du rufst immer an, wenn du irgendwo wartest.«
    Es klang nicht böse. Und sie hatte recht.
    »Ich sitze auf einem Dach, in Quirbajou. Wir sind gleich fertig hier. Es sind fast vierzig Grad. Ein irres Haus. Mir geht es gut. Viel zu tun. Tolle Sachen.«
    Seine Schwester war vor sieben Jahren in die Pyrenäen gegangen, mit Marc, in ein wirklich kleines Kaff mit viel Wein, Oliven, einer riesigen Kartharer-Burg und zwei noblen Steinbrüchen, nicht weit von Perpignan. Sie war drei Jahre jünger als er, Architektin und Schreinerin und baute verrückte Häuser, ganz aus Holz. Niedrigenergie. Dupin liebte seine Schwester. Auch wenn sie sich selten sahen. Und selten sprachen.
    »Ja, ich – ich bin in einem Fall. Ja – und ich warte.«
    »Kompliziert?«
    »Ja.«
    Sie hatte offenbar noch von nichts gehört.
    »Zwei Tote. Und ein echter Gauguin.«
    »Ein echter Gauguin?«
    »Ein bisher ganz unbekannter Gauguin – wahrscheinlich das wichtigste Bild seines Œuvres, lies den Figaro .«
    »Auf keinen Fall!« Sie lachte. »Klingt aufregend. Das wird Maman lieben.«
    Ihre Mutter handelte mit Antiquitäten und hatte eine Leidenschaft für die bildenden Künste. Dupin wunderte sich eigentlich, dass sie noch nicht angerufen hatte. Diesen Fall würde sie tatsächlich mögen.
    »Wolltest du nicht nächstes Wochenende nach Paris? Sie besuchen?«
    Anna Dupin reiste nicht in die Provinz. Sie mussten immer zu ihr nach Paris.
    »Ich komme hier nicht weg, befürchte ich. Mal sehen.«
    Dupin hatte nicht viel Lust. Es war an dem Wochenende außerdem der Geburtstag einer Tante, die er nicht ausstehen konnte. Eine der drei Schwestern seiner Mutter, eine arrogante, hochnäsige Pariserin der schlimmsten Sorte, er würde den ganzen Abend über bissiges Bedauern ernten, nun in der Provinz dahinvegetieren zu müssen.
    »Nimm den Fall als Grund. Du weißt, sie liebt nichts mehr als Vorwürfe.«
    »Versuche ich.

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