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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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ist. Es sind lauter selbstgewählte Beschäftigungen und immer mit Ideen allgemeinerer Art. Da ich diese Beschäftigungen einen großen Teil meines Lebens hindurch geführt habe, so haben sie meinem Wesen auch die Richtung zum Ernst und zum Halten an Ideen und Gedanken gegeben, die es offenbar hat. Ich habe alles, was mich umgibt und womit ich in Berührung komme, in ein gewisses System gebracht. Ich behaupte darum garnicht, daß dies System immer richtig
ist. Vielmehr ist nichts darin, was ich nicht von Zeit zu Zeit von neuem überdenke und in Betrachtung ziehe, und immer findet sich auch irgendwo ein Irrtum zu verbessern. Allein so lange ich das, was ich meine, für wahr halte, kann ich nicht leiden, daß um mich her, soweit ich Einfluß darauf habe, anders gehandelt wird. Ich kann alsdann die Grundsätze jedes Handelns aufweisen, und somit ist doch eine Grundlage vorhanden, auf die man fußen kann. Denn nichts ist mir so zuwider, als das bloße launige Wechseln der Ideen, oder das blinde Herumtappen. Es ist allerdings nicht immer möglich, jede Sache in ihrer Wahrheit zu ergründen, jeden Entschluß immer so zu nehmen, wie es am weisesten wäre. Aber man kann dem doch nahe kommen, und alles, auch das Unbedeutende in Regel und Norm zu pressen, nicht der wechselnden Lust oder Unlust zu diesem oder jenem zu folgen, sondern sich selbst zur Befolgung dieser Regel zu nötigen, ist eine heilsame Weise für den äußeren Erfolg und für den inneren Charakter. Es ist auch garnicht richtig, daß eine solche Art des Seins den Aufschwung des Geistes hindern sollte, oder dem Erguß der Empfindung Schranken setze. Der Geist bewegt sich vielmehr zuverlässiger in einem ihm gegebenen Gleise, in dem er eine feste Richtung und den gehörigen Anhalt findet, und die Empfindung erlangt mehr Stärke, wenn sie aus ganz geläuterten und berichtigten Ideen hervorgeht.
    Nun leben Sie wohl, liebe Charlotte, und seien Sie überzeugt, daß ich sehr oft und immer mit herzlichster Teilnahme Ihrer gedenke. Auf Ihr Befinden, denke ich, hat der gelinde Winter, den wir haben, einen wohltätigen Einfluß ausgeübt. Je älter man wird, desto mehr wird man dem plötzlichen Wechsel und den Extremen der Witterung gram. Mit den alten, sich nie ändernden Gesinnungen der Ihrige. H.
     
     
Berlin
, den 8. März 1825.
     

    D ie Beschreibung Ihres Lebens und Ihres häuslichen Daseins vom Jahre 1786 hat mir, liebe Charlotte, eine viel größere Freude gemacht, als ich Ihnen sagen kann. Es ist auch dieser Lebensabschnitt in Ihrer Jugend, wie natürlich, ohne gerade wichtige Ereignisse vorübergegangen, aber es ist Ihnen eine ganz besondere Gabe eigen, die inneren Seelenzustände zu schildern. Immer aber sind es doch nur diese, welche die Begebenheiten selbst erst anziehend machen, sie mögen dieselben nun vorbereiten, begleiten, oder aus ihnen entstehen. Nichts aber ist gleich reizend, als der Zustand eines aufblühenden Mädchens in dem Alter, worin Sie damals gewesen sein müssen. Ich war damals neunzehn Jahre und auch noch nicht aus dem mütterlichen Hause gekommen. Meinen Vater habe ich schon früher in meinem zwölften Jahre an einer Krankheit verloren, die bloß zufällig war, da er seinem sonstigen
Gesundheitszustande nach noch lange hätte leben können. Sie müssen ungefähr vier Jahre jünger sein als ich. Ich erinnere mich aber hier, daß ich Ihr Geburtsjahr nicht genau weiß. Schreiben Sie es mir doch einmal. Mir ist es immer wichtig, ganz genau zu wissen, wie alt die sind, die ich gern habe, vorzüglich bei Frauen. Ich habe meine eigenen Gedanken über das weibliche Alter und ziehe ein weiter fortgerücktes eigentlich einem jüngeren vor. Sogar der bloße körperliche Reiz erhält sich meiner Meinung nach viel länger, als man gewöhnlich annimmt, und was in dem Innern einer Frau vorzüglich fesselt, gewinnt offenbar bei fortgeschrittenen Jahren. Ich hätte auch in keinem Alter meines Lebens gern in engem Verhältnis mit einem Mädchen oder einer Frau stehen mögen, die viel jünger als ich gewesen wäre, am wenigsten hätte ich eine solche heiraten mögen. Ich bin auch in mir überzeugt, daß solche Heiraten im ganzen nicht gut sind. Sie führen meistenteils dahin, daß die Männer die Frauen wie Unmündige und Kinder behandeln, und es kann bei einer solchen Altersverschiedenheit unmöglich der freie, gegenseitig erhebende und beglückende Umgang, das volle und reine überströmen der Gedanken und Empfindungen aus einem Gemüt in das andere

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