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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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stattfinden, die in dem Umgange beider Geschlechter eigentlich das Beseligende ausmachen. Gleichheit in allen inneren Bedingungen ist da unentbehrlich notwendig, und der Mann kann nur daran
große Freude finden, daß sich ihm die in jeder Art in Empfindungen und Denken, nach Maßgabe der Verschiedenheit der Geschlechter, in ihrer Art Gleiche, in der mit erlangter Reife vollen Selbständigkeit ihres Wesens hingibt und seinen Willen als den ihrigen erkennt.
    Ich bin aber von Ihrer Lebenserzählung abgekommen. Es ist eine sehr eigentümliche, aber in der Unschuld eines aufkeimenden, noch vor sich selbst gar nicht entfalteten Gemüts, natürliche und liebenswürdige Richtung in Ihrem Herzen, in jener Zeit, daß Sie sich nur nach einer Freundin sehnten, und jede andere Sehnsucht Ihnen fremd war. Man erkennt darin recht, was Freundschaft und Liebe unterscheidet. Beide teilen miteinander das innere Seelenleben, worin zwei Wesen einander entgegenkommen, und indem sie, jeder seine Art zu sein in dem andern aufzugeben scheinen, dieselbe reiner und klarer zurückempfangen. Der Mensch muß etwas außer sich gewinnen, an das er sich anschließen, auf das er mit allen vereinten Kräften seines Daseins wirken könne. Allein wenn auch diese Neigung allgemein ist, so ist der Hang und die Sehnsucht nach wahrer Freundschaft und Liebe doch nur ein Vorrecht zarter und innerlich gebildeter Seelen. Weniger zarte oder durch die Außenwelt betäubte Gemüter heften sich wechselnd und vorübergehend an und erreichen niemals den wahren Frieden, einer in dem andern. Unter
sich aber sind Liebe und Freundschaft doch immer und unter allen Umständen in der Art verschieden, daß die erste immer zugleich eine sinnliche Farbe an sich trägt. Man tut dadurch ihrer Reinheit keinen Eintrag, denn auch die sinnliche Neigung kann die größte Reinheit in sich schließen, diese stammt aus der Seele selbst und verwandelt alles in ihren unbefleckten Glanz. Bei jungen weiblichen Gemütern, die noch gar nicht bis zum Gefühl, oder vielmehr bis zum Bewußtsein der Liebe gekommen sind, ist es doch aber eigentlich diese, die das Gewand der Freundschaft annimmt. Die Gefühle sind da noch nicht so bestimmt und klar geschieden, aber die beginnende weibliche Reife spielt doch alles, ohne es zu wissen, in die Liebe hinüber. Die Freundschaft selbst von einem Geschlecht zu einer Person desselben wird dann lebendiger, leidenschaftlicher, hingebender, aufopfernder; wenn sie auch in späteren Jahren alles dasselbe der Tat nach leistet, so ist in der früheren doch die Art anders, die Farbe der Empfindung glühender, die Seele heftiger davon ergriffen und gleichsam wärmer und heller davon durchstrahlt. So ist es gewiß auch Ihnen, liebe Charlotte, damals mit Ihrer Freundin gegangen. Ich wünsche sehr, daß Sie Ihre Lebenserzählung fortsetzen. – Nun leben Sie herzlich wohl und gedenken Sie meiner, der Ihnen immer mit gleicher Teilnahme zugetan bleibt. H.
     
     
Berlin
, den 22. März 1825.
     

    I ch setze mich mit recht eigentlicher Freude hin, Ihnen zu schreiben, liebe Charlotte, und wünsche von ganzem Herzen, daß Sie dies Blatt körperlich recht wohl und heiter gestimmt finden möge. Bei dieser wunderbaren Witterung, wo der Winter es sich recht aufgespart hat, zum Frühjahr zu kommen, kann es selbst festen Gesundheiten leicht anders ergehen. Die meinige hat Gottlob! bis jetzt keinen Anstoß erlitten, und ich denke, wenn nicht zum Osterfest, doch gleich nachher, nach Tegel zu gehen. Wenn man auch dies Jahr lange auf das Grünwerden der Bäume wird warten müssen, so ist es eine süße Erwartung, wie die alles Guten, das unfehlbar ist, weil es aus einer sich immer gleichbleibenden Güte quillt. Alle Freuden an dem Wechsel der Naturerscheinungen haben das, daß sie zugleich moralische sind für das sie dankbar empfindende Herz. Diese Zuverlässigkeit, die in der Natur liegt und sich schon in ihrer Regelmäßigkeit ausspricht, durch die die gewöhnlichsten Begebenheiten, ja selbst der tägliche Sonnen-Auf- und -Niedergang etwas Großes und Wunderbares erhalten, diese Zuverlässigkeit, sage ich, verbunden mit der Wohltätigkeit alles dessen, was aus der Natur auf den Menschen herabfließt, erteilt allen Empfindungen, die sich auf sie beziehen, eine erhebend beruhigende Fülle der Sanftheit. In unserm rauhen
Norden müssen wir freilich den Übergang zum Frühjahr mit bittern Winterempfindungen erkaufen und das Bessere langsam erwarten. Aber dieser große Wechsel hat doch

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