Brigade Dirlewanger
zu einer Angstfratze.
»Quatsch!« antwortete Vonwegh kalt. »Los«, stieß er den Mann mit dem verschwollenen Gesicht an, »aufschließen!«
Petrat ging mit taumeligen Schritten voraus. Er begriff nichts mehr. Er spürte immer noch die Schläge auf der Haut, merkte, wie die Angst seinen Hass fraß und wie er wie ein Hund um Vonweghs Gunst bettelte. Warum hat er mich nicht fertiggemacht? überlegte er zwecklos.
Jetzt haben die beiden fast das Gros erreicht, dessen Spitze noch immer beschossen wird. Aber der Widerstand der Partisanen ist schon lendenlahm. Mit einem Blick übersieht Paul Vonwegh die Kampfsituation: den Stellungswechsel der MGs, den russischen Scharfschützen, der von der Baumkrone einen Salto mortale schlägt, den Kolbenschlag Fleischmanns, die irrsinnigen Sätze Kortetzkys, das Nachrücken des linken Flügels. Jetzt bemerkt Vonwegh, wie der Gorilla zusammenbricht, wie Fleischmann ihn ansieht und dann weiterhastet. Kein Widerstand mehr. Der Sumpf ist geschafft. Die sechs Toten des Zugs sind bloß eine mittlere Verlustquote …
Petrat geht jetzt offen, wenn auch geduckt. Der Zugführer läuft neben ihm, sorglos, wie bei einem Spaziergang, äußerlich unbeteiligt. Die beiden Männer, die ihn ermorden wollten, sind die Bullen des Zugs, die ›Großmächte‹, Burschen, vor denen sich jeder duckt. Wer sie dressiert vorführt, hat die Achtung aller, ihren blinden Gehorsam, einem solchen Mann werden sie durch dick und dünn folgen …
Auf dieses Ziel arbeitet Paul Vonwegh hin. Auf diesen Tag wartet er. Aber der Weg bis dahin ist weit und erbarmungslos. Er führt durch brennende Dörfer, vorbei an geschändeten Frauen, über gemordete Kinder hinweg.
Wer sich dabei nach vorne drängt, ist ein mustergültiger Dirlewanger.
Wer sich dagegen wehrt, wird vernichtet.
Wer nur Mitleid zeigt, ist schon verdächtig.
Paul Vonwegh weiß, daß er sich nicht verdächtig machen darf …
Der Durchbruch ist erzwungen, der Weg frei. Die Spitze hält, bis die anderen aufgerückt sind.
Petrat hat Kortetzky erreicht, beugt sich über ihn, sagt dann mit gefletschten Zähnen: »Der treibt nichts mehr mit die Weiber …«
Vonwegh schiebt ihn beiseite, fühlt Kortetzkys Puls, hebt ein Augenlid.
»Los«, fährt er Petrat an, »tragen Sie ihn zu den anderen!«
Der Mörder schüttelt den Kopf. »Der ist doch hinüber«, brummelt er.
Dann sieht er schräg zu Vonwegh auf und kapituliert. Er lädt sich den bewußtlosen Kortetzky über die Schulter.
Der Zugführer nickt Kirchwein zu. Er führt den gezähmten Petrat vor, und bei dieser Gelegenheit führt er etwas völlig Neues bei Dirlewangers Haufen ein: Er ordnet an, Kortetzky zu verbinden. Bisher schleppte man höchstens leichtere Fälle mit. Schwerverwundete Kameraden überließ man der Kälte, den Russen oder den Wölfen.
Es geht weiter. Durch wegloses Land, einem Ziel entgegen, vor dem selbst die meisten Berufsverbrecher zittern.
Pünktlich auf die Minute stößt Vonwegh auf die Kompanie und meldet Oberscharführer Weise.
»Hm«, erwidert der angetrunkene Chef des Sondereinsatzes, »sechs Tote …« Er spuckt aus. »Sind ja ganz tüchtig, Vonwegh …« Er sieht den in einer Zeltplane mitgeschleppten Kortetzky und sagt: »Was ist denn das?«
»Ein Schwerverwundeter«, antwortet der Zugführer.
»Ach, nee …«, versetzt der Oscha spöttisch, »ihr habt wohl zusammen 'ne Leiche im Keller … Mal ansehen, den Vogel …« Er erkennt den Gorilla und nickt.
Über hundert Mann ziehen weiter durch Schnee und Harsch, trampeln über eine Landschaft, die so weiß ist wie ein Leichentuch, marschieren Stunde um Stunde. Irgendwo, ganz weit am Horizont, wo sich der nahtlose Himmel über eine markierte Hölle wölbt, steigt eine Rauchsäule auf und verrät, mittags um ein Uhr des 17. Februar 1943, die Ortschaft Smolwiezki.
Mit jedem Schritt, den Paul Vonwegh weitergehen muß, drückt sein Körper schwerer auf die Kniekehlen. Es ist sein erster Einsatz dieser Art. Er hat sich hundertmal ausgemalt, wie er verlaufen wird. Aber jetzt, konfrontiert mit der Wirklichkeit, ist er nur äußerlich der Mann, von dem alles abgleitet, der nie dreckig ist, der keinen Hunger spürt und keine Müdigkeit kennt.
Die Kompanie ist bis auf drei Kilometer an das Dorf herangekommen.
»Sie übernehmen mit Ihrem Zug die Absperrung«, befiehlt Oscha Weise. »Wenn nur ein einziger von diesem Russenpack durchkommt, sind Sie reif …!«
Vonwegh nickt.
Wenigstens wird er beim Gemetzel abseits
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