Brigade Dirlewanger
totale Null, als perfektes Nichts. Paul Vonwegh spürt die Galle in seinem Speichel und spuckt aus.
Die MP sitzt fest in seiner Hand, ihr Griff ist schmierig. Der Zugführer fasst seinen Entschluß.
Die vordere der drei Russinnen hat ihn erreicht. Oberscharführer Weise, der sie verfolgte, stellt fest, daß die Sperrkette klappt, und geht zum Dorf zurück, um nichts zu versäumen. Dafür kommt von der anderen Seite Uscha Belle, das gleiche Kaliber.
Paul Vonwegh hört den Atem der ersten Russin. Ihr Gesicht zerfließt in Todesangst. Es ist fahl und flächig. Die tiefdunklen Haare, die es umrahmen, machen es geisterhaft blaß. Auf dem Grund der aufgerissenen Augen, auf diesen schreckhaften, fast farblosen Pupillen, treibt die Verzweiflung. Das Mädchen streckt die Arme aus, greift nach Vonweghs Stiefelspitzen, will sie liebkosen.
Der Wind schlägt um. Der Rauch beizt die Augen. Die Männer des ersten Zuges reiben sie sich trocken, fluchen, lachen oder würgen alles hinunter, versuchen, gefühllos zu werden. Im Dorf reißt sich ein Mann los, kommt zwanzig, dreißig Meter weit. Die MG-Garbe erfaßt ihn, wirft ihn in den Schnee. Dieser Muschik hat in der Lotterie des Todes vergleichsweise das große Los gezogen.
Belle erreicht die letzte Russin, wirft sie von hinten mit einem Fußtritt auf das Gesicht, stapft achtlos über die zweite hinweg und ruft Vonwegh zu: »Dalli, dalli, Volksgenosse!« Er lacht mit seiner versoffenen, rostig klingenden Stimme und setzt hinzu: »Bist auch nicht auf dem Rennplatz geboren … was, Kamerad?«
Paul Vonwegh hat die MP an der Hüfte. Vier Schritte Entfernung. Er braucht kein Visier. Wenn er abdrückt, trifft er sicher. Ein oder zwei dieser blutigen Schergen nehme ich noch mit, bevor ich selber falle, denkt er. Und dann ist der Wahn vorbei, der Paul Vonwegh am Leben hielt, vorbei der Hass, die Rache, das Ziel … Ein kleiner Ruck mit der gekrümmten Wurzel des pelzigen Zeigefingers, und er ist ausgelöscht. Einer von Tausenden, von Millionen, die mit Anstand sterben, wenn auch sinnlos … Ich zähle noch bis drei, überlegt der Zugführer, eins … zwei …
»Mensch!« Die Lache des Unterscharführers Belle gluckert. Es hört sich an, als ob ein Fuß mit Wonne in den Morast träte. »Hast wohl Glück bei Weibern, was? … Gleich drei auf einmal! … Und wie die gebaut sind!« Er läßt sein ekliges Gelächter verschnaufen. »Laß mal deinen Harem besichtigen …«
Der Uscha hat den üblichen Pegelstand. Er zeigt trunkene Jovialität, die ihn noch fürchterlicher macht. Er hakt sich die schnapsgefüllte Feldflasche vom Koppel, reicht sie dem Zugführer und sagt gönnerhaft: »Zielwasser! … Trink 'nen Schluck, Kumpel!«
Paul Vonwegh schüttelt den Kopf.
»Blaues Kreuz, was?« knurrt Belle. »Oder Heilsarmee, wie?« Seine Gönnerei schlägt sofort um. »Solche Burschen hab' ich gefressen!« grollt er und mustert den Zugführer gehässig.
Dann zwingt er mit dem Stiefelabsatz die vordere Russin, ihn anzusehen. Sie mag zwanzig sein. Die anderen wirken älter. Aber sie sind einander ähnlich, entsetzlich gleich in ihrem Wimmern um ein Leben, das ihnen unerträgliches Leid auferlegt. Sind es noch Frauen? Haben sie jemals gelacht, gehofft, geträumt? Sind das noch Menschen, die hier im Schnee kauern, klamm vor Kälte, starr vor Angst und ergeben, demütig und hündisch um die Verlängerung eines Lebens flehen, sei es um eine Stunde, um einen Tag, und sei es so hundsgemein wie jetzt, da ihre eigenen Mütter in den Flammen ersticken, ihre Brüder verschleppt werden und ihre Väter zwecklos die Hände den Gewehrläufen entgegenrecken …
»Gar nicht so schlecht …«, grunzt Uscha Belle. Ein dummverschlagener Zug geht über sein wüstes Gesicht. Die bringe ich dem Standartenführer, sagte er sich, alle drei, das gibt ein Fest bei Dirlewanger! Er drückt Petrat die Feldflasche in die Hand. Der Lustmörder trinkt gierig.
»Sauft, Kinder!« ruft Belle. Seine Visage ist zur Fratze verzerrt. Er genießt alles auf Vorschuß: das Wohlwollen Dirlewangers, die Beförderung als Belohnung, die Nacht im Schloß bei Wodka, Musik und lebender Beute. Und auch er wird in der Gunst Dirlewangers schwimmen, wie dieser Oberscharführer Weise da, vor Monaten noch genauso zum SS-Schützen Arsch degradiert wie er … wegen … na, was schon … Und jetzt ist Weise Herr über Smolwiezki und zeigt, was er kann …
Belle dreht sich zu dem Zugführer um, mustert ihn mit kleinen, tückischen Augen
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