Brigade Dirlewanger
Zugführer steht halbverdeckt hinter einem Spind.
»Ernst Kuberg«, sagte der erste, »Hochstapler …«
»Na, dann zeigen Sie mal, was Sie können«, erwidert Vonwegh und entlässt ihn. Merkwürdig, denkt er, es ist wie eine unbestimmte Welle. Er hat die Empfindung, daß alle Kuberg mögen, der auftritt wie ein berühmter Dirigent, wenn er umständehalber zur Dorfkirmes aufspielt.
»Exner«, meldet sich der zweite, ein gedrilltes Etwas.
»General?« fragt Vonwegh.
»B-Soldat.«
»Und früher?«
»SS-Untersturmführer.«
»Vergewaltigung?« fragt der Zugführer, ohne das Gesicht zu verziehen.
»Diebstahl von Heeresgut.«
Vonwegh nickt.
»B-Soldat Braun«, stellt sich der dritte vor.
»Freiwillig?« will der Zugführer wissen.
»Nein … von Oranienburg kommandiert.«
»Politisch?«
»Sozialist«, entgegnet der Mann knapp.
Die beiden betrachten sich einen Moment abtastend, fast melancholisch.
»Sind Sie gesund?« fragt der Zugführer leise.
»Ja«, erwidert der Mann.
»Gut so …«
Der letzte steht am zackigsten still oder versucht es wenigstens. »B-Soldat Brillma …«, schmettert er. Die letzte Silbe bleibt ihm im Hals stecken. Seine Augenlider zucken. Er atmet schwer, duckt sich wie ein Boxer, bevor er in den Clinch geht. Er hat Vonwegh erkannt. Er schwankt leicht.
»Wollen Sie nicht Haltung annehmen?« fragt der Zugführer kühl.
Wulf-Dieter Brillmann schüttelt sich, als ob er unter der Brause stünde.
»Helfen Sie ihm, Kortetzky.«
Der Gorilla grinst, fletscht die Zähne. Er ist primitiv, aber er hat Instinkt. Er geht von hinten an den Neuen heran und haut ihn wuchtig mit der flachen Hand auf den Rücken.
Brillmann macht einen Satz nach vorne, fällt fast, rappelt sich wieder hoch, steht da, mit hohlem Kreuz, streckt den Bauch heraus. Diesmal verbessert Kortetzky die Haltung mit einem maßvollen Bauchtritt.
»Ich heiße Paul Vonwegh … und bin hier Zugführer … Ich bin zur Bewährung da … Ich komme aus dem KZ Buchenwald … wo mir die echte Vaterlandsliebe beigebracht wurde …« Sein Gesicht ist steif. Er spricht mit einer Stimme, die auf Glas beißt. »Und woher kommen Sie?« fragt er beiläufig.
»Aus Berlin …«, antwortet Brillmann.
»Beruf?«
»Regierungsrat«, antwortet Wulf-Dieter in einer Art, als ob er hastig eine Decke über seinen früheren Rang breiten wollte.
»Und vorher?« fragt Paul Vonwegh leise.
»Staatsanwalt«, versetzt der B-Soldat leise.
»Sprechen Sie deutlich!« ruft Vonwegh laut. »Ihre Kameraden«, das Wort kommt hochglanzpoliert von seiner Zunge, »wollen alles wissen.«
»Staatsanwalt«, wiederholt Brillmann halblaut.
Sie haben es alle verstanden. Mit dem Blick, den Petrat, der Frauenmörder, ihm zuwirft, könnte man ein Messer schleifen. Kortetzky grinst bloß.
Vonweghs Haut prickelt wie unter einer langentbehrten Badeessenz. Langsam, denkt er, keine Blöße geben, nicht übertreiben … genießen. Schließlich haben sie mich drei Jahre geschunden, geschlagen und getreten. Das würde ich ihnen noch verzeihen. Schließlich haben sie Karen gefaßt. Vielleicht könnte ich ihm das noch durchgehen lassen. Aber Karen ist seine leibliche Cousine und die Frau, die ich liebe. Und daran wird er ersticken, krepieren … Nicht so, wie er es im Keller der Prinz-Albrecht-Straße machte. Nein, viel eleganter, viel geschickter. Keine Schläge mit der Hand, Hiebe mit dem Kopf … Und ich werde dich kneten, mein Lieber, denkt Vonwegh, und du wirst bald darum bitten, daß ich dich lieber körperlich misshandle als seelisch.
»Warum sind Sie hier?« fragt Paul Vonwegh sachlich.
»Feigheit vor dem Feind«, würgt Brillmann hervor.
»War der Feind in der Prinz-Albrecht-Straße?«
»Nein … an der Front.«
»Waren Sie lange an der Front, Herr … Staatsanwalt?«
»Eine Woche …«
»Eine Woche …«, wiederholt der Zugführer, dreht sich ohne Ausdruck im Gesicht nach seinen Leuten um. Er weiß, daß er ihnen den Neuen zum Fraß vorgeworfen hat, und spürt die Leere der Erschöpfung. »Sie werden Gelegenheit erhalten«, erwidert er leichthin, »Ihre Tat wieder gutzumachen.« Er lächelt seinen Leuten zu und sagt gemütlich: »Bringt ihn auf Draht, Kameraden …« Er verwendet zum ersten Mal das verhaßte Wort und auch das nur im Spott. »Üben Sie noch zehn Minuten lang Grundhaltung«, wendet er sich abschließend an Brillmann, »und dann melden Sie sich wieder bei mir …« Er deutet durch das Fenster. »Draußen …«
Dann geht Paul
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