Brigade Dirlewanger
hinzu: »Herrschaften, ich bitte mir aus, daß nicht geflüstert wird … Achtung!« ruft er und gibt mit der Hand den Einsatz.
»Herzlich willkommen …«, brüllen ein paar hundert B-Soldaten mit angstgewürgten Stimmen.
»Ihr Armleuchter!« tobt der Oberscharführer mit freundlicher Verachtung. »Das hört sich ja an, wie wenn eine Ziege auf eine Trommel scheißt …« Er hebt die Hand zum zweiten Mal.
»Herzlich willkommen«, grollt dumpfe Panik aus ein paar hundert Kehlen.
»Was seid ihr?« schreit Weise jetzt gereizt. »Ein Kirchenchor? … Ein Jungfrauenverein? Oder wisst ihr nicht, um was es geht?« Er tritt näher an das erste Glied heran. Seine Augen werden klein. »Oder wollt ihr nicht? … Ihr mit eurem lächerlichen Ministrantengemurmel … Ich gebe euch die letzte Chance!«
Wieder dirigiert seine Hand den Einsatz. Noch einmal. Noch zweimal. Eine halbe Stunde lang, bis es ihm zu bunt wird.
Jetzt übernimmt der Spieß das Kommando. Münder zucken, Augen flackern … »Herzlich willkommen!« werfen die Barackenwände zurück, in Silben zerlegt. Es hört sich an wie Steinbrocken, die in das Tal rollen und jeden zermalmen, der sich ihnen in den Weg stellt.
Und sie üben es, während sie durch den Schnee kriechen. Sie proben es mit aufgesetzter Gasmaske. Sie keuchen es beim ›Häschen, hüpf‹ und bei der Rolle vorwärts. Sie stöhnen es im Liegen, Knien oder Stehen. Sie röhren es heraus in hassender Ergebenheit, im widerlichen Selbsterhaltungstrieb, an der Grenze des Bewusstseins. Und als sie endlich aufhören dürfen, zucken es ihre Fäuste noch stumm nach.
Dann stehen sie wieder. Im Karree. So einer flüstert oder furzt, laut schnauft oder nur heftig denkt, folgt das Kommando: »Stillgestanden!«
Gleich muß der Abend kommen. Sie starren nach oben. Nach Westen. Sie hören Geräusche. Sie sehen dunkle Punkte. Hundertmal landet Dirlewanger … und jedes Mal war es nur Grauen.
Wieder brummt es am Himmel, und wieder schwebt ein Schatten über ihnen, groß, wird größer, sichtbarer, deutlicher …
Diesmal setzt ein Fieseler Storch zur Landung an, zieht noch eine Schleife über der angetretenen Formation, wackelt mit den Tragflächen wie ein Jagdflieger nach dem Luftsieg, setzt an, landet glatt, steigt aus, kommt näher. Ledermantel über der Uniform, Mütze leicht zurückgeschoben, blecherner Totenkopf über dem lebenden Totenschädel.
Er kommt rasch näher. Das Lächeln in seinem Gesicht ist schräg aufgesetzt wie eine Tasche am Kleid. Die Pistole sieht nach unten. Das Koppel hat auf dem schmächtigen Leib keinen Halt.
Und jetzt brüllen die B-Soldaten ohne Einsatz, bis die Lungen stechen, so laut es geht, ohne Gasmaske, Rolle rückwärts oder ›Häschen hüpf‹: »Herzlich willkommen, Standartenführer!«
Weise meldet. Dirlewanger schüttelt ihm mehr als herzlich die Hand. Eine Sekunde betrachten sie sich wie Verschwörer. Dann macht der Oberscharführer eine Geste zu dem angetretenen Haufen, so als ob er Dirlewanger raten wollte, das langverschobene Exempel gleich an Ort und Stelle zu statuieren.
»Männer«, ruft der Standartenführer, »ich komme aus Berlin … Ich bringe euch die persönlichen Grüße des Reichsführers SS!«
Er lügt, flink und verschlagen wie eine Dirne, denkt Paul Vonwegh und lockert ein paar Sekunden den symbolischen Griff am Hals Brillmanns. Eine müde Gleichgültigkeit überfällt ihn. Ist ja alles unwesentlich, denkt er, nur etwas nicht … Er sieht wieder das gläubige, weibische, leicht aufgequollene Gesicht Brillmanns und reibt sich die Handfläche an der Hosennaht.
»Meine Unterführer haben mir eine Meuterei gemeldet«, fährt der Standartenführer fort. »Meuterei gibt es nicht! … Nicht bei mir …« Er lächelt fahl. »Damit es aber keine gibt … werden wir morgen Gerichtstag halten … von jedem Zug drei!«
Er grinst, geht rasch am Karree entlang, in einer Art, die jeden fixiert. Er stellt fest, wie sie sich ducken, kuschen, wie sie in den Boden kriechen oder sich vor Servilität überschlagen möchten, bleibt stehen, begegnet dem Blick Paul Vonweghs.
Weise flüstert Dirlewanger etwas zu. Dieser nickt, klopft dem Zugführer auf die Schulter, betrachtet ihn. »Gut gemacht!« lobt er. »Baracke VIII ist ausgenommen von der Morgenmeldung …« Dann wendet er sich wieder an alle und lächelt süffisant. »Treue um Treue! … Wie viele Leute haben Sie?« fragt er Vonwegh.
»Sechsundvierzig«, entgegnet der Zugführer.
»Gut.«
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