Bring mich heim
Handy. »Ich und egoistisch ...« Meine Stimme wurde lauter. »Ich habe mir diese ganze Situation natürlich ausgesucht. Jedes Mal, wenn ich eine Sternschnuppe sah, rief ich besonders laut: Komm, wähle mich, ich liebe es zu leiden. Ich bin noch jung, nimm mich, so ruinierst du nicht nur ein paar Jahre, nein, du zerstörst ein gesamtes Leben. Ja, Christoph, ich habe mir diese Situation natürlich ausgewählt. Ich bin äußerst egoistisch.«
Ich war auf hundert. Mein Herz raste wie wild. In meinem Kopf pochte es. Alles an meinem Körper begann wieder zu schmerzen.
»Es tut mir wirklich leid, Mia«, seufzte Chris, beinahe nicht mehr hörbar.
Darauf wusste ich nichts zu sagen, er schien scheinbar nichts mehr zu sagen zu haben, außer, dass es ihm leidtäte.
Zwischen uns herrschte wieder Totenstille. Unangenehme Stille. Ich konnte nur leises Rauschen im Hintergrund wahrnehmen. Und eine nur allzu bekannte Stimme. Eine Frauenstimme.
»Chris, kommst du endlich zurück ins Bett.«
Mir blieb die Sprache weg. Darauf wusste ich wirklich nicht, was ich sagen sollte. Gab es dazu noch etwas zu sagen?
Er und meine beste Freundin .
Das Atmen fiel mir immer schwerer. Es fühlte sich an, als ob mich jemand erwürgte. Krächzend sagte ich kaum hörbar: »Seit wann?«
Christoph ächzte laut. »Mimi, ...«
»Komm mir jetzt nicht mit Mimi«, zischte ich durch meine Zähne. Er erfand diesen Kosenamen für mich. Nur war ich nicht mehr seine Mimi. Ich wollte nicht mehr seine Mimi sein.
Er versuchte sich zu erklären. »Es ist nicht so, wie du denkst.«
»Nicht so, wie ich denke! Was sonst? Wie sonst? Es sieht doch alles sehr eindeutig aus.«
Schuldbewusst flüsterte er: »Es ist einfach passiert. Du warst nie da. Ständig im Krankenhaus. Und Julia und ich trafen uns nun mal oft, um über dich zu sprechen, was los war und ist. Ich dachte da immer nur an dich.«
Kurz hörte er zu sprechen auf. Er wartete auf eine Antwort, aber da gab es keine mehr. Es tat verdammt weh ...
»Wir sprachen darüber, wie wir dir helfen können. Dann stand sie eine Nacht vor meiner Tür, weinend, sie hatte heftigen Streit mit Hofi und es ist einfach passiert. Manchmal kann man so etwas nicht steuern. Gewisse Dinge passieren.« Ich hörte ihn laut schlucken. »Sie wird sich von Markus trennen.«
Gewisse Dinge passieren.
»Ich verstehe schon, Christoph. Ich bin egoistisch und gewisse Dinge passieren einfach. Ich habe soeben genug gehört«, brüllte ich wütend in das Telefon. Ich legte auf.
Mit voller Wucht warf ich mein Handy gegen die Mauer. Es zerbrach in kleine Einzelteile. Doch es war nicht das Einzige, das in Scherben zerfiel. Ich fühlte mein Herz in minimalste Teile zerbersten. Es tat so verdammt weh. Nie hätte ich mir vorgestellt, dass Chris so etwas tun würde. Ich dachte tatsächlich, dass diese starke Liebe beiderseits sei. Aber da schien ich mich getäuscht zu haben.
So wollte ich nicht mehr. Lautes Schluchzen entkam mir und ich schrie wütend vor mich hin. Schmiss alles um mich, das in meine Hände kam. Teller, Tücher, Gläser.
Ich konnte nicht mehr. Die Kraft verließ mich. Meine Knie gaben nach und mit einem harten Knall donnerte ich auf die Fliesen.
Nicht so, wie ich denke.
Kapitel 4
Mia – Ich pack das
Graz, Juni 2012
Meine Mutter hatte enorme Sorgen, dass es zu viel für mich werden würde. Dass ich noch zu wenig Kraft dafür hatte. Ich hatte diese Angst auch. Ob die Kraft schon da war, wusste ich nicht.
Meine Eltern hatten über jeden schwachen und guten Moment meines letzten Jahres einen Einblick. Wäre ich Mutter, dann wäre ich genauso besorgt wie sie, denn auf einige Augenblicke war ich nicht stolz. Es waren Tage, an denen ich mich lieber in meinem Zimmer einsperrte. Wenn es wenigstens mein Raum gewesen wäre. Es war das enge Zimmer meiner kleinen Schwester Anna. Meines bekam sie, als ich damals ausgezogen war. Ich hatte nicht geplant, je wieder einen Fuß in eines der Schlafzimmer zu setzen. Aber hier war ich. Eine vierundzwanzigeinhalbjährige Frau, welche nicht imstande war, sich um sich selbst zu kümmern. Mir blieb nichts anderes übrig, als in das Elternhaus zurückzukehren.
Es waren die Tage, an denen ich keinen Bissen Essen herunterbekam vor lauter Selbstzweifel. Es fehlte mir der Mut. Ich war schwach und wollte diese Situation nicht mehr. Ich wollte, dass mein Leben ein Ende nahm.
Dieses ständige Gefühl, nichts im Leben weiter zu bekommen, machte mich fertig. Jedoch wusste ich nicht, wie ich mich
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