Bring mich heim
kam nichts zurück. Er war nicht im Bad oder der Toilette. Er war weg. Sein Rucksack nirgends zu sehen. Er war tatsächlich ohne mich fort. Es wurde schwer in meiner Brust. Ich fühlte den Kloß im Hals größer werden. Atmen! Es hatte nicht die Wirkung, wenn ich es in meinem Kopf vorsang. Samuel war gegangen. Wegen mir. Wegen ihr. Wer auch immer sie war.
Ich stützte mich an der Mauer ab. Meine Beine gaben nach. Mit einem Knall landeten meine Knie auf dem Boden. Tränen rollten auf der Stelle meine Wangen herab. Was hatte ich nur getan? Er wollte mit mir reden. Jetzt war er fort. Ich hatte keine Telefonnummer von ihm. Wir hatten sie nie getauscht. Warum auch, wenn wir 24 Stunden aufeinanderklebten.
Verzweifelt versuchte ich mein Gesicht zu trocken. Jedoch liefen nur noch mehr Tränen herab. Ein abgewürgtes Schluchzen entkam mir. Es tat weh. Es tat verdammt weh. Als ob jemand mein Herz mit seiner Hand herausgerissen hatte. Ich hätte ihn nicht in meine Gefühlswelt hereinbringen dürfen. Dann müsste ich nicht abermals diese Situation erleben. Nein, diese war schlimmer. Samuel schaffte etwas, das niemand anderes konnte.
Er ließ mich vergessen.
Er ließ mich leben.
Er brachte mich zurück.
Samuel hatte es geschafft. Er brachte mich zurück in mein Leben. Ich durfte noch einmal Freude spüren. Ich durfte noch einmal Lachen. Ich durfte noch einmal leben.
Ich durfte lieben.
Ich hätte es ihm sagen müssen. Schließlich wusste ich es bereits die gesamte Zeit.
Es wird ein Tag kommen, wo sich alles ändert. Sie können es nicht aufhalten.
Nein, ich konnte es nicht aufhalten. Ich hatte es versucht. Die Gefühle waren zu stark.
Er hätte nicht gehen dürfen. Ich hätte gehen müssen. Ich wollte gehen. Bevor er erfuhr, was in mir vorging.
Samuel war schneller.
Ich kauerte mich auf dem harten Holzboden zusammen. Am liebsten hätte ich die Welt um mich abgeschaltet, um nie wieder von hier aufzustehen. Schluchzend saß ich hier. Die Beine fest an mich gezogen. Mein Blick war starr in eine Richtung, ohne zu fokussieren. Dabei fiel mir jedoch etwas Graues auf dem Schreibtisch auf. Langsam rappelte ich mich hoch. Es war mir schwummrig. Mit einer Hand stützte ich mich an der Mauer ab, bis meine Beine nicht mehr wackelig waren.
Meine graue Mütze. Darunter lag ein zusammengefalteter Zettel.
Mia, meine kleine Mia ...
Ich muss die Reise hier mit dir beenden. Ich muss alleine weiter. Viel zu lange habe ich diese Situation vor mir hergeschoben.
Auch wenn es dir womöglich nicht bewusst ist, hast du mir dafür die Augen geöffnet.
Sei nicht traurig ...
Ja, ich bin bei einer Frau, wie du richtig vermutet hast. Nicht bei einer anderen Frau. Ich bin bei meiner Mutter. Oder das, was noch von ihr übrig ist. Ich spreche nicht gerne über sie.
Warum?
Weil ich immer dachte, dass sie für die Scheidung meiner Eltern verantwortlich war. Sie zog zurück nach London und heiratete jemand anderen. Was hätte ich mit 14 Jahren denken sollen, wer Schuld war. Noch dazu wollte sie nicht, dass ich mit ihr mit zog.
Ich sprach nie wieder mit ihr. Jetzt ist es zu spät.
Mein Vater gab mir einen Brief, in dem sie alles erklärte. Hätte ich es früher gewusst, wäre es so nie passiert. Und ich glaube, ich muss das alleine schaffen. Es macht mich regelrecht wahnsinnig, wenn ich sehe, wie oft dein Handy läutet.
Mia, mach nicht denselben Fehler. Höre dir nur kurz an, was deine Familie dir zu sagen hat. Schließe nicht alle aus deinem Leben aus.
Atme Mia!
Lebe Mia!
In Liebe,
Samuel
Die Tränen, die zuvor aufgehört hatten, fingen nur noch stärker an. Ich hielt den Brief fest an mein Herz. Das konnte ich nicht wissen. Jetzt machte es einen Sinn, warum er so wild darauf war, dass ich mit meinen Eltern sprach.
Kapitel 49 1/2
Samuel – Ein Brief zum Abschied
Wien, Mai 2012
Die letzten Tage saß ich meist vor der Glotze. Es half, um nicht an meinen Vater zu denken. Vor allem nicht an diese Firma. Beide waren für mich gestorben. Seine Anrufe durfte er sich ruhig sparen. Ich würde nicht mehr abheben. Und nie wieder einen Fuß in dieses Unternehmen setzen. Meine Sachen packte ich auf der Stelle und ich war weg. Das hätte er sich vorher besser überlegen müssen. Ich war noch immer verdammt wütend auf ihn.
Es läutete an der Tür. Langsam stand ich von der Couch auf und machte, ohne bei der Gegensprechanlage nachzufragen, wer es war, auf. Matthias ...
Mit verschränkten Armen stand ich an dem Türrahmen
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