Bring mich heim
angelehnt. »Was willst du, Matthias ?«, zischte ich genervt durch die Zähne.
»Willst du mich nicht hereinlassen?« Er klang etwas bedrückt.
Ich stellte mich breiter hin. »Nein, ich habe dir nichts mehr zu sagen.«
Er rieb sich seine Stirn. »Gut, wie du meinst.« Ich wartete auf mehr von seiner Seite. Emotionslos spuckte er aus: »Deine Mutter ist vor zwei Tagen gestorben.«
Es ließ mich absolut kalt. Und ebenso gefühllos sagte ich zurück: »Schön für sie.« So konnte sie mir zumindest nicht mehr auf die Nerven gehen.
Mein Vater schüttelte nur seinen Kopf. »Wenigstens jetzt könntest du ihr verzeihen.« Er drückte mir etwas in die Hand. Einen Brief.
»Ich weiß nicht, was drinnen steht. Aber er lag heute in der Post. Adressiert an dich.« Ich riss ihm das Papier aus der Hand, stopfte den Umschlag in meine hintere Hosentasche.
»Du kannst ihr nicht auf ewig alles nachtragen«, seufzte Papa.
»Danke, dass du mir meine Post bringst. Machs gut, Vater.« Vor seiner Nase schlug ich die Tür zu.
Ich setzte mich wieder auf die Bank, nahm den gelblichen Briefumschlag. Er hatte keine Absenderadresse, nur einen Stempel aus England. Eilig riss ich ihn auf.
Lieber Samuel,
es tut ungeheuer weh, wenn der eigene Sohn nicht mehr mit einem zu tun haben möchte. Ich will dir hiermit keine Schuldgefühle machen. Nein, das ist nicht meine Absicht. Aber du gabst mir auch nie die Gelegenheit, mich zu erklären.
Jetzt ist es wohl zu spät.
James verließ mich, dein Vater verließ mich. Ich bin alleine. Du magst mich nicht sehen.
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist alles so wirr.
Samuel, ich bin krank. Und werde auch nicht mehr gesund werden. Krebs ... Die Ärzte gaben mir sechs Monate. Ich hatte auf dich gehofft. Aber du antwortest auf keinen meiner Anrufe. Nichts. Kein Lebenszeichen von dir.
Ich möchte nicht mehr.
Wenn du das hier liest, ist es zu spät. Sechs Monate möchte ich nicht auf den Tag warten. Ich will wissen, wann es so weit ist.
Ich liebe dich, mein Sohn!
Luft ... Ich benötigte Luft. Ich musste weg von hier! Weit weg.
Kapitel 50
Samuel – Nicht alleine
London, Juli 2012
Der Wind wehte heftig. Ich zog den Reißverschluss meines Hoodies zu und versteckte mich unter der Kapuze. Es war ruhig. Nur wenige Leute gingen an mir vorbei. Dort hinein, wohin ich noch nicht bereit war. Mia hatte recht. Je nördlicher wir kamen, umso mehr kämpfte ich mit mir, ob ich hierher kommen sollte. Was brachte es eigentlich? Sie konnte mich nicht mehr hören. Sie konnte mir nicht mehr verzeihen. Meine Mutter war tot. Tot ... Meine Mama war verdammt noch mal tot.
Sie wollte mir keine Schuldgefühle machen. Jedoch, ich hatte sie. Sie war nicht der Grund der Scheidung. Mein Vater ließ mich das all diese Jahre glauben. Nicht ein Mal kam er auf die Idee, mich aufzuklären. Dabei hatte ich ihn oft gefragt. Es war vermutlich sein Plan, um mich in seine Firma zu locken. Ich hasste ihn dafür. Nun, wo sie nicht mehr hier war, rückte er mit der Wahrheit heraus.
Und was tat ich nun in meiner Verzweiflung? Ich rannte vor Mia davon. Aber ich wollte das alleine hinter mich bringen. Glaubte ich zumindest. Ich musste ihr diese Zeilen schreiben. Hoffte dadurch auf Verständnis. Jetzt saß ich auf dieser Bank vor dem Friedhof und ging nicht herein. So stark war ich nicht. Mia war wohl die gesamte Zeit die Toughe unter uns. Ich bewunderte sie, wie sie es geschafft hatte, aus diesem Tief zu kommen. Jeden Tag aufs Neue kämpfen. Sie begann zu leben.
Nach der Nacht vor zwei Tagen fiel mir die Entscheidung um einiges schwerer. Ja, sie sagte diese drei Worte nur im Schlaf. Wenn sie es schon träumte, musste etwas Wahres daran sein. Mein Griff um sie wurde danach noch fester.
Die gesamte Nacht lag ich wach und beobachtete Mia. Sie schlief immer so friedvoll in meinen Armen. Geborgen. Am Morgen küsste ich ihre Stirn. Nahm meine Sachen und verschwand.
Eine Kurzschlussreaktion. Ich wusste nicht, warum ich das getan hatte. Ich dachte nicht nach. Ich hätte sie nicht gehen lassen sollen ... nicht so. Zumindest meine Nummer hätte ich ihr hinterlassen können. Ich war feige. Ich hatte Angst, dass sie wie meine Mutter den einfachen Weg nehmen würde. Auch wenn Mia stark war. Gesund war. Dennoch wusste ich auch, sie hatte ihre Vergangenheit. Keine leichte. Diese könnte sie einholen. Ich wusste nicht, ob ich so stark hätte sein können, um sie daraus zu holen. Ich war genau dasselbe Arschloch wie ihr
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