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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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einzugreifen.
    Der Stier zögerte kurz, offenbar unschlüssig, wer dieser neue Feind sein mochte. Die Zeit genügte Artor, den Speer aufzuheben. Muskeln spannten sich entlang der Flanke des schwarzen Stiers, als das Tier angriff. Der König versuchte nicht, ihm auszuweichen. Auf einem Knie kauernd stemmte er sich gegen den Speer und hielt ihn fest, während der Stier heranstürmte.
    »Heiliger Jesus«, rief Bediver aus. »Glaubt er etwa, er hat es mit einem Bären zu tun?«
    Aber ein Bärenspeer verfügte über ein Querstück, um zu verhindern, dass das Tier sich den gesamten Schaft in den Leib rammte, und trotzdem kam es vor, dass der Jäger dabei getötet wurde.
    Dann war der Stier über ihm. Staub wirbelte heftig, als das Gewicht des Stiers den Speer durch das Tier trieb. Die tödlichen Hörner zuckten wild – befand der Mann sich unter ihnen?
    Die Umrisse der um sich schlagenden und tretenden Gestalt, die durch den Staub zu erkennen waren, veränderten sich; es war Artor gelungen, den Hörnern und Hufen auszuweichen und sich auf die mächtigen Schultern des Tieres zu schwingen. Mit einer Hand ergriff er ein Horn, in der anderen blitzte ein Dolch auf, als Artor sich hinabbeugte, den Arm streckte und die scharfe Stahlklinge durch die Kehle des Stiers zog.
    Ein letztes Mal erzitterte der gewaltige Leib und warf den Reiter um ein Haar zu Boden.
    Dann brach der schwarze Stier zusammen, während sein Blut auf den Boden strömte.
    Eine lange Weile war es still. Dann befreite Artor sich von dem Kadaver, und die Druiden eilten mit Bronzeschalen herbei, mit denen sie das Blut auffingen, damit das Opfer nicht vergeudet wurde.
    Oesc besann sich, wie das Leben des Stiers, den er vor der Schlacht von Portus Adurni geopfert hatte, unter seinen Händen zerfloss. Doch ihm schien, dass die Kraft, die aus diesem Stier strömte, auf Artor überging, der mit weit aufgerissenen Augen und einem blutroten Fleck auf dem goldenen Gewand im Fackellicht stand.
    Trommeln ertönten und schlugen einen sanften, dennoch eindringlichen Rhythmus, der Schrecken und Verwirrung zu wachsender Begeisterung wandelte. »Seht!«, rief der Oberste der Druiden, dessen Stimme sich festigte, als er fortfuhr:
     
    »… die Göttin ist befreit, das Ungetüm erschlagen.
    Nun wird die Sonne in jene Länder zurückkehren, die ihrer bedürfen.
    Für jede Macht gibt es eine Jahreszeit:
    Eine Zeit für das Licht, eine Zeit für die Finsternis,
    eine Zeit für den Tod, eine Zeit für das Leben.
    Nun aber ist die Zeit der Ernte!
    Drum lasset keinen Schatten unser Fest trüben;
    des Stieres Blut erkauft uns unser Leben!«
     
    Die Druiden schritten mit den Segnungsschalen zwischen den Leuten umher. Oesc drängte mit den anderen nach vorne und fühlte sich für kurze Zeit, als sei er kein Fremder mehr.
    Die Priesterin der Göttin stand nach wie vor auf der Plattform und wiegte sich im Einklang mit den Trommelschlägen. Durch ihre Bewegungen tanzten ihre Schleier und wirbelten um sie, und es wurde offensichtlich, dass wohl ihr Gesicht maskiert war, sie aber unter den Schleiern rein gar nichts trug.
    Die Druiden trennten dem Stier den Kopf ab und spießten diesen auf einen Pfahl. Einen Teil des Fleisches legten sie auf die Plattform vor die Göttin, ebenso Brot, das aus dem ersten Korn der Ernte gebacken war. Einige der anderen zogen Artor zurück auf die Plattform und legten seine Hand in die der Priesterin.
    Dann hob sie ihre beiden Hände empor und rief mit lauter Stimme:
     
    »Das Korn nährt sich von der Erde,
    das Volk nährt sich vom Korn,
    die Erde nährt sich vom Volk;
    so ist es, so war es, so wird es sein Alles, was auf Erden weilt,
    muss fressen und gefressen werden.
    Empfangt nun den Segen der Ernte,
    das geschnittene Korn,
    das vergossene Blut.
    Aus diesen Dingen, meine Kinder, entspringt euer Leben.«
     
    Männer mit Platten voll Fleisch und Brot schritten durch die Menge, gefolgt von Mädchen mit Schläuchen voll Met und Bier. Die Trommeln wirbelten lauter, und die Dudelsäcke begannen ihren Rhythmus mit schrillen, ekstatischen Melodien zu überlagern. Die Klänge pulsierten wie Feuer durch Oescs Adern.
    Die Priesterin auf der Plattform hatte zu tanzen begonnen – war es denn noch die Priesterin? Oescs verinnerlichtem Blick erschien sie plötzlich wesentlich größer. Unter ihren halb durchsichtigen Schleiern schimmerte weiße Haut. Jemand reichte ihm ein Horn voll Met, und er trank. Er hörte Gelächter, sah, wie eine rothaarige Maid die Arme um

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