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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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Wachposten auf der Ostseite lehnten. Fackeln an langen Stangen warfen ein unstetes Licht den Hügel hinab, eine Girlande aus Feuer, die ihrem größeren Gegenstück, den Wachfeuern am Fuß des Hügels, ähnelte. Dazwischen lagen dunkle Schemen rings um die Baumstrünke verstreut; Leichname, die aus Furcht vor Pfeilen von oben oder von unten keine Seite zu bergen gewagt hatte.
    »Glaubt Ihr etwa, die Götter hätten diesen Gipfel in weiser Voraussicht dessen geebnet, dass Ihr eines Tages eine Zuflucht brauchen würdet?«, sagte Merlin, als sie weitergingen. »Schon ehe die Römer kamen, haben hier Menschen gelebt. Deshalb ist die Kuppe eben und sind die Ränder steil. Eure Barrikaden sind auf den Überresten der Bollwerke errichtet, die einst errichtet worden waren, um ein Dorf zu schützen.«
    »Ich wünschte, die Bewohner dieses Dorfes wären jetzt hier! Ich kann die Männer wohl mit Worten aufheitern, aber heute Morgen haben wir Verluste erlitten, die wir uns nicht leisten können.«
    »Was macht Euch glauben, sie wären nicht hier?«, fragte der Druide. »Jetzt, in der Stunde zwischen Finsternis und Morgenröte, sind alle Zeiten eins. Sperrt Eure Ohren auf und lauscht. Öffnet Eure Augen und seht.«
    Als Artor sich mit ernstem Blick umdrehte, berührte Merlins Zeigefinger die Stirn des Königs genau zwischen dessen Augen. Artor taumelte, und der Druide, dessen eigene Sicht sich veränderte, musste ihn stützen. Die Zelte seiner Krieger wurden zu Schemen, und vor seinen Augen tauchten runde Häuser aus lehmbeworfenem Flechtwerk mit kegelförmigen Rieddächern auf. Geisterbilder von Erdwällen mit einer Palisadenzaunkrone legten sich über die Barrieren aus aufeinander gestapelten Baumstämmen. Und zwischen den Kriegern der Armee des Hochkönigs wandelten die Gestalten von Männern, Frauen und Kindern in den gestreiften und karierten Gewändern längst vergangener Tage.
    »Ich sehe es«, flüsterte der König mit bebender Stimme. »Aber das sind nur Erinnerungen.«
    »Mit meinen Künsten vermag ich diesen Geistern so viel Gestalt zugeben, dass die Sachsen schreiend davonrennen werden. Aber Ihr müsst sie heraufbeschwören.«
    »In wessen Namen? Welcher Macht, die ich anrufen kann, gehorchen sie?«
    Merlin holte aus dem Gürtelbeutel eine Bronzescheibe mit dem Abbild eines Frauenantlitzes hervor. »Dies ist ein Bildnis der Göttin – diese Scheiben kauften Leute, die reisten, um in den Wassern von Sulis zu baden. Diese uralten Geister werden sie erkennen. Befestigt das Bildnis an Eurem Schild, und beschwört die Geister im Namen der Herrin dieses Landes…«
     
    Die Zeit der Finten und Überraschungen war vorüber. Heute musste eine Entscheidung herbeigeführt werden. Beide Seiten wussten es, dachte Oesc, während er den Speer fester umklammerte. Noch vor der Morgendämmerung hatten die Sachsen sich bewaffnet; die ersten Sonnenstrahlen gleißten auf Helmen, Speerspitzen und Schilden. Der Tribut würde gewiss schrecklich hoch sein, doch letzten Endes mussten die Briten verlieren. Oesc würde seine Rache bekommen.
    Er fragte sich, weshalb ihm die Erkenntnis keine Freude bereitete. Ich werde um Euch weinen, mein König, aber ich werde nicht zögern…
    Sächsische Kuhhörner ertönten herausfordernd, und von jenseits der Barrieren antworteten die schrillen Klänge britischer Trompeten. Auf der Südseite, wo sich einst das Tor zur Festung befunden hatte, nahm er Bewegung wahr. Die Baumstämme und das Gebüsch wurden beiseite gezerrt. Dies war der einzige Hang, auf dem die Pferde sicheren Grund fanden. Der abfallende Grund würde der britischen Reiterei zusätzlichen Schwung verleihen.
    Aelle hatte Oesc die rechte Flanke zugewiesen. Seine Hauskarle bildeten einen Schildwall vor ihm, aber rings um ihn wichen die Männer zurück, als sie sahen, wie er sich an der Hülle des Speers zu schaffen machte. Ein morgendlicher Wind erhob sich, zerrte an den Schnüren, und fuhr durch sein Haar, das unter dem Helm hervorlugte.
    Seid Ihr so begierig, Herr der Erschlagenen? Schon bald sollt Ihr Eure Beute haben!
    Der letzte Knoten löste sich, und die durchscheinende Speerspitze schimmerte im Licht der aufgehenden Sonne. Ein Beben durchlief den runenüberzogenen Schaft. Oesc versuchte sich einzureden, es wäre nur der Wind.
    Droben am Hang knackte Holz, und ein Pferd wieherte schrill. Eine Bö drückte das Gras nieder, Baumstämme polterten geräuschvoll herab und überrollten die ersten Reihen von Aelles Hausgarde. Unmittelbar

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