Brooklyn
dunkle Treppe hinauf in das Wohnzimmer, das zwar auf die Straße ging, aber fast so dunkel war wie das Treppenhaus und in dem, wie Eilis fand, viel zu viele Möbel standen. Miss Kelly zeigte auf einen mit Zeitungen bedeckten Sessel.
»Tu die auf den Fußboden und setz dich«, sagte sie.
Miss Kelly setzte sich ihr gegenüber auf einen verschossenen Ledersessel.
»Und, wie geht’s dir so?« fragte Miss Kelly.
»Sehr gut, danke, Miss Kelly.«
»So hört man. Und ich habe gerade gestern an dich gedacht und mich gefragt, ob ich dich noch mal zu Gesicht kriegen würde, weil ich erst gestern mit Madge Kehoe in Amerika gesprochen habe.«
»Madge Kehoe?« fragte Eilis.
»Für dich ist sie wohl Mrs. Kehoe, aber sie ist eine Kusine von mir. Vor ihrer Heirat war sie eine Considine, und meine Mutter, Gott hab sie selig, war eine Considine, und deshalb sind wir Kusinen ersten Grades.«
»Sie hat das nie erwähnt«, sagte Eilis.
»Ah, die Considines waren von jeher sehr verschlossen«, sagte Miss Kelly. »Meine Mutter war genauso.«
Miss Kellys Ton war fast neckisch; es war, dachte Eilis, als ob sie sich selbst parodierte. Eilis fragte sich, ob es tatsächlich stimmte, dass Miss Kelly Mrs. Kehoes Kusine war.
»Tatsächlich?« fragte Eilis kühl.
»Und natürlich hat sie mir alles über dich erzählt, sobald du dort angekommen bist. Aber dann gab es hier keine Neuigkeiten, und Madge meldet sich prinzipiell bei einem nur dann, wenn man sich auch bei ihr meldet. Also rufe ich sie ungefähr zweimal im Jahr an. Ich spreche nie lange, weil es sonst zuviel kostet. Aber sie freut sich, besonders, wenn es irgendwelche Neuigkeiten gibt. Und als du dann heimgekommen bist, tja, das war wirklich eine Neuigkeit, und dann habe ich gehört, dass du nur noch in Curracloe warst und in Courtown, wie aus dem Ei gepellt, und dann hat mir ein Vögelchen, das zufällig mein Kunde ist, erzählt, dass er in Cush Gap ein Photo von euch allen gemacht hat. Er meinte, ihr hättet eine hübsche Gruppe abgegeben.«
Miss Kelly schien sich zu amüsieren; Eilis wusste beim besten Willen nicht, wie sie sie zum Schweigen bringen sollte.
»Und so hab ich Madge angerufen und ihr die ganzen Neuigkeiten erzählt und dass du bei Davis’s die Löhne auszahlst.«
»Wirklich, Miss Kelly?«
Es war Eilis klar, dass Miss Kelly sich jedes Wort von dem, was sie sagte, im voraus überlegt hatte. Die Vorstellung, dass der Mann, der in Cush das Photo gemacht hatte, jemand, an den sich Eilis kaum noch erinnerte und den sie vorher nie gesehen hatte, in Miss Kellys Geschäft über sie gesprochen hatte und dass dieseNeuigkeit Mrs. Kehoe in Brooklyn übermittelt worden war, machte ihr plötzlich angst.
»Und sobald sie ihrerseits Neuigkeiten hatte, hat sie zurückgerufen«, sagte Miss Kelly. »Was sagst du dazu?«
»Und was hat sie gesagt, Miss Kelly?«
»Oh, ich glaube, du weißt, was sie gesagt hat.«
»War es interessant?«
Eilis bemühte sich, Miss Kellys herablassenden Ton nachzuahmen.
»Ah, versuch nicht, mich zum Narren zu halten!« sagte Miss Kelly. »Du kannst die meisten Menschen zum Narren halten, aber mich nicht.«
»Ich möchte ganz bestimmt niemanden zum Narren halten«, sagte Eilis.
»Ach, wirklich nicht, Miss Lacey? Falls du immer noch so heißt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Sie hat mir alles erzählt. Die Welt ist, wie man so sagt, ein Dorf.«
Eilis erkannte am schadenfrohen Ausdruck in Miss Kellys Gesicht, dass es ihr nicht gelungen war, ihren Schrecken zu verbergen. Ein Frösteln überlief sie, als sie sich fragte, ob Tony Mrs. Kehoe besucht und ihr von ihrer Heirat erzählt hatte. Sie tat es sofort als unwahrscheinlich ab. Wahrscheinlicher war, dass an dem Tag jemand in der Schlange im Standesamt sie oder Tony erkannt oder ihre Namen gelesen und die Neuigkeit an Mrs. Kehoe oder eine ihrer Busenfreundinnen weitergegeben hatte.
Sie stand auf. »Ist das alles, was Sie zu sagen haben, Miss Kelly?«
»Ja, aber ich werde Madge noch einmal anrufen und ihr sagen, dass ich dich getroffen habe. Wie geht es deiner Mutter?«
»Sehr gut, Miss Kelly.«
Eilis zitterte am ganzen Leib.
»Ich habe euch gesehen, wie ihr nach der Hochzeit dieser Byrne mit Jim Farrell in den Wagen gestiegen seid. Deine Mutter sah gut aus. Ich hatte sie seit längerem nicht gesehen, aber ich fand, dass sie gut aussah.«
»Es wird sie freuen, das zu hören«, sagte Eilis.
»Oh, da bin ich mir sicher«, entgegnete Miss Kelly.
»Wäre das dann alles, Miss
Weitere Kostenlose Bücher