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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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sei es eine Begrüßung. Sie lächelte nicht.
    Eilis wollte eigentlich erklären, man habe nach ihr geschickt, und höflich fragen, ob sie jetzt auch nicht ungelegen komme, aber als sie sah, wie Miss Kelly sie so abschätzig musterte, beschloss sie, nichts zu sagen. So wie sie sich verhielt, fragte sich Eilis, ob Miss Kelly von jemandem in der Stadt beleidigt worden war und sie mit der betreffenden Person verwechselt hatte.
    »Da bist du also«, sagte Miss Kelly.
    Eilis sah, dass mehrere schwarze Regenschirme gegen die Ablage im Flur gelehnt standen.
    »Ich habe gehört, du hast keine Arbeit, aber einen Kopf für Zahlen.«
    »Wirklich?«
    »Ach, die ganze Stadt, jeder, der irgend etwas zählt, kommt zu mir in den Laden, und ich erfahre alles.«
    Eilis fragte sich, ob das eine Anspielung auf die Tatsache war, dass ihre Mutter grundsätzlich in einem anderen Lebensmittelgeschäft einkaufte, aber sie war sich nicht sicher. Die dicken Gläser von Miss Kellys Brille machten es schwer, ihren Gesichtsausdruck zu deuten.
    »Und uns wächst hier jeden Sonntag die Arbeit über den Kopf. Klar, es hat ja sonst nichts auf. Und es kommen die verschiedensten Leute, gut, schlecht und mittelmäßig. Normalerweise öffne ich nach der Sieben-Uhr-Messe, und zwischen dem Ende der Neun-Uhr-Messe und dem der Elf-Uhr-Messe und sogar noch später kann man sich in dem Geschäft kaum rühren. Mary geht mir zur Hand, aber sie ist furchtbar langsam von Begriff, also wollte ich jemand mit Köpfchen haben, jemand, der einen Blick für die Leute hat und richtig herausgibt. Aber wohlgemerkt, nur sonntags. Den Rest der Woche kommen wir allein zurecht. Und man hat dich mir empfohlen. Ich habe Erkundigungen über dich eingezogen, und es gäbe siebeneinhalb Shilling die Woche, das könnte deiner Mutter ein bisschen weiterhelfen.«
    Miss Kelly kniff nach jedem Satz den Mund fest zusammen und sprach, fand Eilis, als schilderte sie eine ihr zugefügte Kränkung.
    »Das ist also alles, was ich jetzt zu sagen habe. Du kannst am Sonntag anfangen, aber komm schon morgen ins Geschäft, damit du alle Preise auswendig lernst, und wir zeigen dir, wie die Waage und die Schneidemaschine funktionieren. Du musst dir die Haare hinten zusammenbinden und bei Dan Bolger oder Burke O’Leary einen guten Kittel besorgen.«
    Eilis prägte sich schon die ganze Zeit dieses Gespräch für ihre Mutter und Rose ein; sie wünschte sich, ihr fiele eine schlagfertigeErwiderung ein, die nicht direkt unhöflich gewesen wäre. So blieb sie stumm.
    »Nun?« fragte Miss Kelly.
    Eilis begriff, dass sie das Angebot nicht ausschlagen konnte. Es wäre immer noch besser als nichts, und momentan hatte sie nichts.
    »O ja, Miss Kelly«, sagte sie. »Ich fange an, wann immer Sie möchten.«
    »Und am Sonntag kannst du zur Sieben-Uhr-Messe gehen. So machen wir es auch, und anschließend öffnen wir.«
    »Das ist schön«, sagte Eilis.
    »Also, dann komm morgen. Und wenn ich beschäftigt bin, schicke ich dich wieder nach Haus, oder du kannst Zucker in Tüten abfüllen, während du wartest, aber wenn ich nicht zu viel zu tun habe, zeige ich dir alles.«
    »Danke, Miss Kelly«, sagte Eilis.
    »Deine Mutter wird sich freuen, dass du etwas hast. Und deine Schwester auch«, sagte Miss Kelly. »Wie ich höre, ist sie eine sehr gute Golfspielerin. Geh jetzt also nach Hause wie ein braves Mädchen. Den Weg hinaus findest du ja selbst.«
    Miss Kelly drehte sich um und begann, langsam die Treppe hinaufzusteigen. Auf dem Heimweg dachte Eilis, dass ihre Mutter sich tatsächlich darüber freuen würde, dass sie selbst etwas Geld verdienen konnte, dass Rose allerdings meinen würde, hinter dem Ladentisch eines Lebensmittelgeschäfts zu arbeiten, sei nicht gut genug für sie. Sie fragte sich, ob Rose ihr das ins Gesicht sagen würde.
    Unterwegs schaute sie bei Nancy Byrne vorbei, ihrer besten Freundin, und traf dort auch ihre gemeinsame Freundin Annette O’Brien. Die Byrnes hatten im Parterre ein einziges Zimmer, das gleichzeitig als Küche, Ess- und Wohnzimmer diente, und es war unverkennbar, dass Nancy irgendwelche Neuigkeiten zu erzählen hatte, von denen Annette schon einen Teil zu wissen schien.Nancy nutzte daher Eilis’ Erscheinen als Ausrede für einen Spaziergang, damit sie ungestört reden konnten.
    »Ist etwas passiert?« fragte Eilis, sobald sie auf der Straße waren.
    »Sag nichts, bevor wir nicht einen Kilometer von diesem Haus entfernt sind«, sagte Nancy. »Mama weiß, dass etwas los ist, aber

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