Brother Sister - Hoert uns einfach zu
bremsen, um nicht wie ein Irrer loszurennen.
Dabei war ich alles andere als allein. Lauter Leute kamen auf mich zu und gratulierten mir, grapschten nach meinen Händen und zerquetschten mir fast die Finger. Manche klopften mir so fest auf den Rücken, als wollten sie mir helfen, was auszuspucken, das mir in der Luftröhre stecken geblieben war. Die meisten trugen diese pastellfarbenen Polohemden, die sie in ihre albernen Golferhosen gesteckt hatten.
Die Pros aus den Countryclubs im Umkreis von hundert Kilometern waren da. Alles ältere Männer, mindestens in den Dreißigern. Alle machten so schwermütige Gesichter – ich schwör’s, jeder Einzelne! –, dass sie mich an Meister Yoda erinnerten. Wahrscheinlich dachten sie an die guten alten Zeiten, als sie die Shootingstars auf dem Platz waren, und fragten sich, ob sie mich dazu ermutigen sollten, in ihre Fußstapfen zu treten, oder ob sie mir lieber gleich sagen sollten, dass auch meine große Zeit irgendwann vorbei sein würde. Und dass ich dann, genau wie sie, nur noch in den untersten Zeilen der Spielerlisten auftauchen, von einem Arzt zum anderen rennen und mich über meine undankbaren Kinder ärgern würde.
Dazu lauter Fettwänste, die noch älter waren, mit Fünfzig-Dollar-Frisuren und schrillen Krawatten. Das waren Geschäftsleute, die ganz wild darauf waren, mit mir ins Gespräch zu kommen und sich bei mir einzuschleimen. Bei mir! Die hatten doch nicht alle Tassen im Schrank! Warum sollte ausgerechnet ich für sie wichtig sein? Sie laberten was von Sponsering und dass ich unbedingt mal nach L.A. kommen sollte. Bestimmt würden Ping und Oakley und Adidas mich mit Werbeverträgen zuschütten. Vor allem ein Typ, so ne schwitzende Nullnummer mit angegrauter Stoppelfrisur und ner Caféhauskette in San Francisco, von der ich noch nie was gehört hatte, lag mir in den Ohren, ich sollte unbedingt beim Hunter Mahan Talentwettbewerb mitmachen. Ob ich daran schon mal gedacht hätte und ob ich mir das finanziell überhaupt leisten könnte. Lauter so Fragen. Erst hinterher ist mir klar geworden, dass er mich wohl fördern wollte, aber da war es schon zu spät. Ich wollte einfach nur mal nen Moment allein sein und hatte ihn abserviert.
Irgendwie schaffte ich es dann, ins Clubhaus zu kommen. Ich rannte auf die Toilette und schloss mich in einer Kabine ein. Da saß ich dann zwischen den metallisch orangefarbenen Wänden, starrte auf meinen Pokal und konnte es immer noch nicht fassen. Ich stellte mir vor, wie er wohl aussehen würde, wenn erst mal das Schild mit meinem Namen draufgeschraubt wäre und er in meinem Zimmer im Regal stand.
Erst da begriff ich, dass die ganze Sache wirklich passiert war. Dass ich das Turnier gewonnen hatte.
Ich blieb ziemlich lange auf der Toilette. Ich hörte Leute rein- und rausgehen, die Urinale spülen und Wasserhähne auf- und zudrehen. Das Geräusch der Handtrockner. Das Klackern der gewienerten Schuhe auf den Fliesen. Aber das machte mir nichts aus. In meiner Kabine war ich ja sicher. Und ich konnte nachdenken.
Ich bin nicht der geborene Sieger. Ich bin einer, dem immer nur Scheiß passiert. Einer, der sogar wenn er einfach nur nett sein will, immer alles verkehrt macht.
Wie an dem Tag, als ich Rose Lee in der Cafeteria in der Schlange vor der Essensausgabe vorgelassen habe. Die ganze Zeit hatte sie auf ihre Freundinnen eingeredet, dass die Rice Krispy Treats heute das einzig Essbare sind und dass sie unbedingt welche haben will, aber der Vorrat würde langsam knapp. Da sagte ich: »Komm, Rose, du kannst dich vor mir anstellen.« Und was macht sie? Zieht den Kopf zwischen die Schultern und guckt mich so angewidert an, als wäre ich ein ekliges Monster oder eine dieser Riesenkraken, die vor ein paar Jahren entdeckt wurden. Als hätte sie gar nicht gewusst, dass ich überhaupt sprechen könnte.
Dann drehte sie sich zu ihren Freundinnen um und fragte: »Hat der gerade was gesagt?« Sie waren zu dritt, Rose und ihre beiden Freundinnen, und drückten sich ihre Flötenetuis an die Brust, als ob ich sie ihnen wegnehmen wollte.
»Komm schon«, sagte ich. »Ich lass dich vor.«
»Nicht nötig«, sagte sie und fing sofort wieder an rumzuheulen, dass sie bestimmt keine Rice Krispy Treats mehr abkriegt und dass sie sich umbringt, wenn das passiert. Das hat sie wirklich gesagt.
Fünf Minuten hab ich mir das angehört, dann hab ich’s noch mal versucht. Ich drehte mich um, trat einen halben Schritt aus der Schlange und sagte: »Jetzt komm
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