Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
suchte, doch dass Bruce offenbar noch etwas zurückhielt – wovon Appel überzeugt war –, weckte seine Neugier. Obschon er nicht gerne aus seiner Deckung kam, schickte er seinem Tadel ein paar aufmunternde Worte hinterher. »Du musst weiterschreiben«, erklärte er Bruce, als der Wests Gitarre einpackte. Eine tolle Band zu haben, sei großartig, wenn man mit Clubauftritten an der Küste von New Jersey zufrieden sei. Aber in der Stadt gäbe es tolle Bands wie Sand am Meer. »Wenn du den Durchbruch schaffen willst«, riet ihm Appel, »musst du dich als Singer-Songwriter etablieren. Schreib klasse Songs, und du wirst eine steile Karriere machen.«
Sie schüttelten einander die Hände und Bruce erklärte, dass er über Weihnachten nach Kalifornien fahren werde, wo er die Zeit nutzen wolle, um ein paar Songs zu schreiben. Danach werde er noch einmal vorbeikommen. »Fein!«, entgegnete Appel. »Ich bin gespannt. Du weißt, wo du mich findest.«
Als sie wieder auf dem Garden State Parkway waren, gab West seinem jungen Freund einen allerletzten Rat mit auf den Weg: »Alles, was ich ihm sagte, war, dass er, bevor er irgendeinen Vertrag mit Appel oder sonst jemandem unterschrieb, unbedingt einen Anwalt hinzuziehen müsse. Ich sagte: ›Achte darauf, dass der alle Unterlagen prüft und zu den Akten nimmt.‹ Aber so hat er damals natürlich überhaupt nicht getickt.«
In Asbury Park fragten sich derweil die anderen Mitglieder der Bruce Springsteen Band, ob sie überhaupt noch eine funktionierende Gruppe waren. Obschon sie die erste Hälfte des Jahres 71 damit verbracht hatten, an einem eigenen Sound und einer eigenen Identität zu feilen, waren die Reaktionen bislang, gelinde gesagt, verhalten ausgefallen. »An der Küste tat sich gar nichts«, sagt Bassist Gary Tallent. Doch mit der Band hatte das möglicherweise gar nichts zu tun. Es war nicht mehr viel los in den Clubs in dem allmählich aussterbenden, von Unruhen gebeutelten Asbury Park. Für Bands, die ihre eigenen Songs spielten, war es damals besonders schwer. Ihr Engagement im Student Prince war für weitere sechs Wochenenden verlängert worden, was angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfests zwar ein Segen war, aber die Konditionen hatten sich enorm verschlechtert. Seit ihrer Highschoolzeit standen die Jungs nun auf der Bühne dieses Clubs, doch jetzt bekamen sie dort weniger als je zuvor. »Der Clubbesitzer gab uns gar nichts – er erlaubte uns nur, unser Equipment aufzubauen und zu spielen«, so Tallent. »Wir mussten selbst jemanden an die Tür stellen, der von jedem, der reinkam, einen Dollar kassierte. Das war unsere Gage.«
Angesichts des bevorstehenden Winters sah die Situation nicht gut aus. Als ihnen das klar wurde, beschlossen sie – einstimmig, wie es zunächst schien –, nach Richmond zu ziehen. Dort war es im Winter nicht so kalt und es wimmelte dort nur so von Studenten, die gerne Musik hörten und von denen sich viele noch an Steel Mill und deren phänomenalen Frontman erinnerten. Man freundete sich schnell mit der Idee an, und binnen weniger Tage begannen alle zu packen.
Das zumindest glaubten Tallent, Van Zandt und Sancious. Lopez wollte am Ende doch im Norden bleiben und wieder auf der Bootswerft jobben. Und Bruce, der nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt für die Karrieren seiner Freunde war, hatte etwas Besseres vor. »Ich kann mich gar nicht daran erinnern, einen Umzug nach Richmond geplant zu haben«, sagt er. Sicher nicht mit der großen Chance, die sich ihm in New York eröffnet hatte. Auch wenn das nicht die einzige Möglichkeit war, die sich ihm bot. Bald würde er seiner Familie in Kalifornien seinen alljährlichen Besuch abstatten, und Bruce war sich nicht sicher, ob er von dieser Reise so bald wieder zurückkehren würde. Da er nirgendwo einen Mietvertrag unterschrieben hatte und die Klamotten und Bücher, die er besaß, in einen Rucksack passten, hatte er sich an ein sehr freies, spontanes Leben gewöhnt, was seinem unentschlossenen Wesen durchaus entgegenkam. »Ich hatte immer ein ambivalentes Verhältnis zu dem, was ich gerade tat«, sagt er. »Was irgendwie paradox klingt, weil ich gleichzeitig auch der engagierteste Mensch war, der mir je begegnet ist. Aber immer, wenn ich gerade mitten in einer Sache drinsteckte, gab es da auch schon wieder die nächste. Es war immer dasselbe: Wenn ich hier bin, kann ich nicht da sein. Wenn ich diese Musik spiele, kann ich jene nicht machen.«
Bruce verabschiedete sich von Lopez,
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