Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
simplen Grundkonstellation passten«, so Bruce. »Diese Musik spiegelt meine ersten Versuche wider, genau die Songs zu finden, die ein Kerl mit einer lädierten Gitarre, für die er nicht mal einen Koffer hat, John Hammond vorspielen könnte.«
Dem ersten Dutzend Songs folgte ein zweites. Im Vergleich zu »It’s Hard to Be a Saint in the City« wirken all diese Nummern allerdings wie Fingerübungen. Auf den ersten Blick wirkt »Saint« wie eine typische großspurige Rock’n’Roll-Nummer: Der Sänger stilisiert sich zu einem modernen Erben Casanovas, einem Marlon Brando im Stil von Der Wilde, während die harten Jungs von der Straße an jeder Ecke ihr Revier markieren. Doch etwa zur Hälfte des Songs verwandelt sich der urbane Raum in eine echte Hölle und die Figur des Erzählers rückt in den Hintergrund. Der Teufel höchstpersönlich, der durch einen Gullydeckel emporsteigt und dann Gestalt annimmt, hält ein Blatt in Händen, dem selbst die Polizei – und damit die bürgerliche Ordnung, die sie repräsentiert – nichts entgegenzusetzen hat. Bei seiner Flucht in die U-Bahn macht der Erzähler Bekanntschaft mit dem Höllenfeuer (»It’s too hot in these tunnels/You get hit up by the heat!«). Doch dann hält die Bahn an und er kämpft sich zurück auf die Straße, nur um erkennen zu müssen, dass er wieder genau da gelandet ist, wo er herkommt: im Reich der Nutten, Krüppel und Straßengangs. »It’s so hard to be a saint«, brüllt Bruce, »when you’re just a boy out on the street.«
Nachdem es ihm nicht gelungen war, mit anderen Musikern in Kalifornien näher in Kontakt zu kommen, kehrte Bruce Mitte Januar 72 nach New Jersey zurück. Er trat bei einer Handvoll Shows der Sundance Blues Band (Van Zandt, Lopez, Sancious und Southside Johnny) als Rhythmusgitarrist auf, bevor er mit der Bruce Springsteen Band nach Richmond fuhr und innerhalb eines Monats zehnmal im Back Door Club auf der Bühne stand. Doch obschon er einige neue Songs für die Band mitgebracht hatte und im Verlauf des Winters noch weitere schrieb, konzentrierte sich Bruce insgeheim auf eine Solokarriere. »Es gab da einen Moment, da hatte ich die Band und eine Reihe neuer Songs und meine akustischen Stücke, und ich fragte mich, welchen Weg ich einschlagen sollte«, erzählt er. »Ich dachte: ›Okay, ich habe mich durch eine Menge verschiedener Genres gearbeitet und ihnen meinen Stempel aufgedrückt.‹ Wenn irgendjemand Steel Mill damals unter Vertrag genommen hätte, hätten wir uns sicher gut geschlagen. Aber letzten Endes fand ich das, was ich alleine machte, interessanter. Es hatte einfach eine ganz eigene Stimme.«
Als Bruce im Februar 72 bei Mike Appel anrief, hatte der nicht den leisesten Schimmer, wer da am anderen Ende der Leitung war. Seit der angehende Jungmanager Tinker West und seinen Gitarre spielenden Schützling in seinem Büro empfangen hatte, waren fast drei Monate vergangen. Als Bruce jedoch Wests Namen erwähnte, fiel ihm alles wieder ein, und er lud den jungen Mann ein vorbeizukommen. Am Montag, dem 14 . Februar, wollte er ihn nach Büroschluss empfangen, und diesmal sollte auch Jimmy Cretecos dabei sein.
Bruce fuhr mit dem Bus von Asbury Park zum Port-Authority-Bus-bahnhof im Westteil von Manhattan und legte die knappe Meile bis zu den Geschäftsräumen von Wes Farrell an der Avenue of the Americas mitsamt seiner Gitarre zu Fuß zurück. Kurz nach 20:30 Uhr stand er in seiner typischen Jeans-T-Shirt-Kaputzenpulli-Kluft vor dem Haupteingang; die meisten Büros waren bereits verlassen. Appel, Cretecos und der einundzwanzigjährige Bob Spitz, den Farrell gerade erst eingestellt hatte, baten ihren Gast ins Empfangszimmer. Spitz war zwar jünger und unerfahrener als Appel und Cretecos, doch sein Ehrgeiz, im Showbusiness Karriere zu machen, war keineswegs geringer als ihrer.
Daher blieb auch er oft länger im Büro, und während die beiden Songwriter Pläne für eine eigene Produktionsfirma schmiedeten, setzte er sich an eine Schreibmaschine und versuchte, ein annehmbares Skript für Die Partridge Familie zu Papier zu bringen. Da er sich auf alles stürzte, was irgendwie vielversprechend klang, war er allerdings sofort dabei gewesen, als Appel bei ihm anklopfte und fragte, ob er Lust habe mitzukommen, um sich den Musiker anzuhören, der gerade gekommen war. »Bruce setzte sich und ich sagte: ›Hey, das werde ich aufnehmen!‹«, erzählt Spitz. »Ich hatte ein handliches Tonbandgerät, das ich aufstellte, und Bruce nahm
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