Bruchlandung
die sich, schneller und schneller werdend, schließlich auf sein ehemals weißes Hemd ergoss.
»Bitte!«, flüsterte er nun matt und schob eine Hand nach vorn, gerade so, als wolle er der Bedrohung ein Friedensangebot machen.
»Abgelehnt«, murmelte Blatter, hob die SIG ein wenig an, zog den Abzug durch und wurde vom Rückschlag des ausgelösten Schusses kurz geschüttelt. Dann wandte er sich von dem im Todeskampf zuckenden Wehmeyer ab, sah sich suchend um, erkannte seine auf dem Boden vor dem Schreibtisch liegende Tasche und hob sie auf. Ein schneller Blick verschaffte ihm Gewissheit, dass sich noch alles darin befand, was er für seine Flucht vorbereitet hatte und auch benötigen würde.
»Ach du Scheiße«, rief jemand auf dem Flur.
Marc.
»Komm nicht näher, Marc. Verpiss dich so schnell es geht, dann passiert dir nichts.«
»Aber …«
»Hau ab, du Idiot«, schrie Blatter durch die Tür in den Flur, wo der unverändert auf dem Boden vor dem Fenster liegende, offenbar tote Björn Hassemer seltsam versonnen einen imaginären Punkt an der Decke anzusehen schien. »Deinen Boss gibt es nicht mehr, und in ein paar Minuten wimmelt es hier nur so von Bullen. Sei clever und verschwinde.«
Ein paar Augenblicke war Stille, dann konnte Blatter ganz schwach und wie aus großer Entfernung geflüsterte Stimmen hören.
»Das ist scheiße. Wir hauen ab, und wenn du nur einen Rest Grütze im Hirn hast, machst du das auch.«
Direkt danach das Getrappel von schweren Schuhen, geschlagene Türen und danach Stille. Irgendwo in der Ferne das Geheul einer Sirene.
Andreas Blatter schob vorsichtig den Kopf um die Türkante, sah, dass der Flur leer war, und setzte den ersten Schritt. Dann überlegte er es sich anders, trat zurück in das Büro und öffnete den unverändert auf Wehmeyers Schreibtisch liegenden Alukoffer.
100.000 Euro, höchstens. Mehr bin ich diesem Arschloch also nicht wert gewesen.
Ein paar schnelle, den Körper peinigende Bewegungen später war das Geld in seiner Reisetasche verschwunden und er auf dem Weg. Ein letzter, mitleidloser Blick auf Hassemer, der noch immer den gleichen Punkt an der Decke zu fixieren schien, dann die schmerzenden und im Rücken kaum auszuhaltenden Schritte Richtung Ausgang. Fünf Meter, vier Meter, drei Meter, dann knallte der Schuss. Blatter wurde nach vorn geschleudert, spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss, und erkannte auf seiner rechten Brustseite ein Loch in der Jacke, das einen Kollegen auf der Rückseite haben musste, denn der Schuss war von hinten gekommen, aus Hassemers Richtung. Der Rockerboss drehte sich, so schnell es eben ging, um, sah den ihn angrinsenden ehemaligen Bruder mit der Waffe erneut auf ihn zielen, hob seine SIG und feuerte fünf Mal. Drei der Schüsse verfehlten ihr Ziel, die anderen beiden warfen Hassemer nach hinten und töteten ihn auf der Stelle.
Diesmal bist du wirklich tot, du verschissenes Arschloch!
Das Atmen fiel Blatter schwer, als er aus dem Haus trat und mit unsicheren Schritten auf seinen Leihwagen, eine Mercedes A-Klasse, zuwankte, und er hatte das Gefühl, mit jedem Kubikzentimeter Luft ein wenig den Tod einzuatmen. Allerdings waren die Schmerzen, die er vorher noch gespürt hatte, völlig verschwunden, und irgendwie fühlte er sich beschwingt und frei. Es war, als wären mit Hassemers Schuss aller Stress und alle Sorgen von ihm abgefallen.
Er musste husten, und schon während er dafür Luft holte, schmeckte er das Blut in seinem Mund.
Ich werde sterben. Ich werde nicht an einem Pool auf einer Insel in der Karibik liegen, sondern heute, an diesem beschissenen Tag, in Kassel verrecken.
Andreas Blatter steckte den Zündschlüssel ins Schloss, drehte ihn nach rechts und ließ den Motor an. Dabei dachte er an Paris, wo der Flieger nun ohne ihn starten würde, und an die kleinen bunten Schirmchen auf den Cocktails, die er immer so gern gemocht hatte.
Scheiß drauf.
Unter großen Mühen zog er den Wahlhebel der Automatik nach hinten, rollte aus der Parklücke und nahm Kurs auf sein vermutlich letztes Ziel. Er war sich noch nicht ganz im Klaren darüber, ob er es erreichen würde, aber er würde zumindest alles dafür tun, es zu versuchen. Kurz darauf bog er in die Holländische Straße ein, und als er das weiße Hinweisschild mit der Aufschrift Flughafen Kassel erkannte, huschte ein zufriedenes Grinsen über sein Gesicht.
31
»Die Fahndung läuft«, rief Hain seinem Chef zu, der ihm auf dem Flur entgegen kam. »Das SEK steht zu
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