Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
gefällt mir das, was sich hier anbahnt. Denn – so gewiß, wie Gott ein Auge auf uns alle hat – Hugh Beringar ist im Begriff, sich auf einen zweifelhaften Kampf einzulassen, für den er schlecht gerüstet ist.
So sorgte er sich während des ganzen langen Festmahles. Abt Heribert gab ihm kaum etwas zu tun. Es entsprach seiner Gewohnheit, sich beim Wein zurückzuhalten und nur sehr wenig zu essen. Cadfael legte vor und schenkte nach, hielt Fingerschale und Mundtuch bereit, und wartete in düsterer Resignation.
Als der Tisch abgeräumt war, die Musikanten spielten und nur noch der Wein auf den Tischen stand, waren die Diener entlassen und durften in die Küche gehen, um sich zu holen, was übriggeblieben war. Die Köche und Küchenjungen hatten sich schon die besten Stücke herausgesucht. Cadfael nahm sich ein großes Stück Brot, belegte es mit kleinen Fleischstückchen und brachte es dem Krüppel Osbern vor dem Tor. Auch einen Becher Wein nahm er mit. Warum sollten sich nicht auch die Armen einmal auf Kosten des Königs satt essen, selbst wenn die Gaben erst den langen Weg durch die Hierarchie gehen mußten, bis sie die Bedürftigen erreichten?
Viel zu oft zahlten sie den Preis, den Nutzen jedoch genossen sie selten genug.
Auf dem Rückweg zum Festsaal fiel Cadfaels Blick auf einen etwa zwölfjährigen Jungen, der im Inneren des Torhauses an eine Wand gelehnt saß und sein Fleisch mit einem Messer in kleine Stücke schnitt. Cadfael hatte ihn schon vorher in der Küche bemerkt, als er damit Fisch zerteilte, aber da hatte er das Heft des Messers nicht gesehen, und auch jetzt wäre es ihm nicht aufgefallen, wenn der Junge es beim Essen nicht neben sich auf den Boden gelegt hätte.
Es war kein Küchenmesser, sondern ein fein gearbeiteter Dolch. Sein schlanker, silberner Griff, dessen Krümmung der Rundung der Hand angepaßt war, wies feine Filigran-Linien auf, und der Ansatz der Klinge war mit kostbaren Edelsteinen verziert. Am oberen Ende des Griffes war eine Bruchstelle zu erkennen. Cadfael konnte es kaum glauben. Vielleicht sind Gedanken wirklich Gebete...
Sehr sanft und beiläufig sprach er den Jungen an; er durfte dieses Kind, das zum Werkzeug der Gerechtigkeit geworden war, auf keinen Fall erschrecken. »Wo hast du dieses schöne Messer her, mein Junge?«
Arglos sah der Kleine ihn an und lächelte. »Ich habe es gefunden. Es ist nicht gestohlen.«
»Gott bewahre, das habe ich auch nicht angenommen. Wo hast du es gefunden? Hast du auch die Scheide, die dazu gehört?«
Sie lag im Schatten neben ihm, er tätschelte sie stolz. »Ich habe es aus dem Fluß geholt. Ich mußte tauchen, aber ich habe es gefunden. Es gehört wirklich mir, Vater, der Mann wollte es nicht mehr haben, er hat es weggeworfen.
Wahrscheinlich, weil ein Stück abgebrochen ist. Aber es ist das beste Fischmesser, das ich je hatte.«
Also weggeworfen hatte er es! Allerdings wohl kaum nur deswegen, weil der Griff zerbrochen war.
»Du hast gesehen, wie er es in den Fluß warf? Wo war das, und wann?«
»Ich habe am Fluß geangelt, unten am Fuß der Burg. Ein Mann kam vom Flußtor her zum Ufer, warf es ins Wasser und ging zur Burg zurück. Als er weg war, tauchte ich an der Stelle und fand es. Es war früh am Abend, am selben Tag, an dem die Leichen ins Kloster getragen wurden, also morgen vor einer Woche.«
Ja, es paßte alles zusammen. Am selben Nachmittag hatte Aline die Leiche ihres Bruders nach St. Alkmund gebracht und Courcelle hatte sich mit Gewissensbissen herumgequält. Er wußte, daß er einen Gegenstand besaß, der Aline, sollte sie ihn jemals zu sehen bekommen, für immer gegen ihn einnehmen würde. Und folgerichtig hatte er den einzigen Ausweg gewählt und den Dolch in den Fluß geworfen, nicht ahnend, daß der Racheengel in Gestalt eines Fischerjungen das Beweisstück wieder zum Vorschein bringen und ihn damit konfrontieren würde, wenn er am wenigsten damit rechnete.
»Weißt du, wer der Mann war? Wie sah er aus? Wie alt war er?«
Es blieben noch immer Zweifel; Bruder Cadfaels Verdacht stützte sich nur auf seine Erinnerung an Courcelles entsetztes Gesicht und seine brechende Stimme, mit der er über Giles Siwards Leiche um Vergebung bettelte.
Der Junge zuckte die Schultern. Er wußte nicht, wie er einem anderen das Bild beschreiben sollte, das er deutlich in Erinnerung hatte. »Ein Mann eben. Ich kannte ihn nicht. Er war nicht so alt wie Ihr, Vater, aber ziemlich alt.« Für einen Zwölfjährigen war eben jeder
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