Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
war in der Nacht vor dem Angriff, etwa um Mitternacht. Um etwas von der Wärme des Feuers abzubekommen, hatte ich meinen Platz in der Nähe des Wachpostens bezogen. Er kam heimlich wie ein Schatten aus den Büschen. Als er angerufen wurde, blieb er stehen und bat, zum wachhabenden Offizier geführt zu werden. Er sagte, er habe Informationen zum Vorteil des Königs. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, aber er war jung und er hatte Angst – aber wer hätte in diesem Fall keine Angst gehabt? Sie führten ihn ins Lager und später sah ich ihn zurückkommen. Er sagte, er habe den Befehl erhalten, wieder zurückzugehen, und man dürfe keinen Verdacht schöpfen.
Mehr konnte ich nicht hören. Er schien besseren Mutes zu sein, nicht mehr so verängstigt, und so bat ich ihn um ein Almosen.
Er gab mir etwas Geld und sagte, ich solle für ihn beten. ›Sprich morgen ein Gebet für mich‹, das waren seine Worte – und am nächsten Morgen, sagt Ihr, wurde er hingerichtet! Damit hat er nicht gerechnet, als er mich verließ, das weiß ich gewiß.«
»Nein«, sagte Cadfael. Mitleid mit allen armen, verängstigten, fehlbaren Menschen ergriff ihn. »Keiner rechnet mit seinem Tod, und niemand von uns kennt die Stunde, in der er uns ereilt. Aber du kannst für ihn beten, und deine Gebete werden seiner Seele nützen. Vertreibe den Gedanken, daß du für seinen Tod verantwortlich bist, denn so ist es nicht. Du hast ihm nie etwas Schlechtes gewünscht, und Gott sieht auf das Herz.«
Osbern war beruhigt und getröstet, aber als Cadfael die Burg betrat, war er niedergedrückt und gequält von der Last, um die er den Lahmen erleichtert hatte. So ist es immer: Man muß selber tragen, was man anderen abgenommen hat, dachte er.
Eine letzte Frage, die wichtigste von allen, fiel ihm noch ein, und er ging zurück, um sie zu stellen.
»Erinnerst du dich, wer der wachhabende Offizier in jener Nacht war, mein Freund?«
Osbern schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nicht gesehen, er hat das Zelt nicht verlassen. Nein, Vater, ich weiß es nicht.«
»Mach dir keine Gedanken mehr«, sagte Cadfael. »Du hast dir dein Gewissen erleichtert, und du weißt, daß dieser Umhang dir mit einem Segen gegeben wurde, nicht mit einem Fluch.«
Bruder Cadfael fand den Abt im Gewimmel des Burghofes.
»Vater, wenn Ihr mich bis zum Essen nicht mehr braucht, so würde ich mich gerne um einige Dinge kümmern, die zur Aufklärung des Todes von Nicholas Faintree beitragen könnten.«
König Stephen hielt Audienz im Rittersaal, und am Hof drängten sich so viele Geistliche, Bischöfe und kleine Adelige aus der Umgebung von Shrewsbury, daß für einfache Diener, die erst beim Essen gebraucht werden würden, ohnehin kein Platz war. Der Abt entließ Bruder Cadfael also fürs erste.
Osberns Geschichte ging ihm im Kopf herum, während er sich auf die Suche nach Hugh Beringar machte. Obwohl die letzte Frage noch unbeantwortet war, hatte er einen Teil des traurigen Geheimnisses gelüftet. FitzAlans Plan war nicht von einem verzweifelten Gefangenen verraten worden, der zusammengebrochen war, als man ihm die Schlinge um den Hals legte. Nein, der Verrat hatte einen Tag früher stattgefunden, als der Ausgang der Schlacht noch unentschieden gewesen war. Ein Mann hatte sich dadurch sein Leben erkaufen wollen und war betrogen worden. Er war heimlich ins Zeltlager geschlichen und hatte sich zum wachhabenden Offizier bringen lassen, denn er hatte Informationen zum Vorteil des Königs!
Wie war es ihm gelungen, die Burg zu verlassen? Vielleicht hatte er sich erboten, die Lage des Feindes zu erkunden.
Jedenfalls hatte er den Befehl, wieder in die Burg zu gehen, befolgt, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Er war zurückgekehrt, damit ihn der Tod ereilte, dem er hatte entkommen wollen.
Hugh Beringar stand auf der Treppe, die zum Rittersaal führte, und hielt in dem Gedränge unter ihm nach Bruder Cadfael Ausschau, aber der war kleiner als die meisten anderen und erblickte Beringar, bevor dieser ihn bemerkte. Energisch bahnte er sich einen Weg zur Treppe. Beringar faßte ihn am Arm und zog ihn in einen ruhigen Winkel.
»Kommt, laßt uns auf den Wehrgang gehen, dort wird uns niemand stören außer der Wache. In diesem Gewimmel können wir unmöglich reden.« Als sie die Zinnen der Mauer erreicht hatten, sah er Cadfael forschend an und fragte: »Was habt Ihr herausgefunden?«
Cadfael erzählte, was er von Osbern erfahren hatte. Beringar verstand sofort, was das bedeutete. Er
Weitere Kostenlose Bücher