Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Erdens Anwälte die Neuigkeit erfahren, könnten ein paar Tage vergehen. Aber ich vertraue Ihnen. Wenn Sie mir versichern, dass Sie meiner Forderung nachgekommen sind, lassen wir die Geisel unverletzt. Sobald Erden aus der Untersuchungshaft entlassen wird, kommt auch die Geisel frei. Verstanden?«
»Verstanden. Wer…?«
Ohne meine Frage zu beachten, wandte er sich ab und stand auf. Nachdem er einen dünnen schwarzen Regenmantel vom Kleiderhaken genommen hatte, trat er noch mal dicht an den Tisch, beugte den Kopf vor, sah mir ernst in die Augen und sagte mit leiser, eindringlicher Stimme: »Lesen Sie im Koran. Lernen Sie, einem Bruder wie Erden zu verzeihen. Lernen Sie, sich selber zu verzeihen. Es ist nichts Schlimmes daran, ein Moslem zu sein, im Gegenteil. Seien Sie stolz auf sich. Freuen Sie sich. Allah liebt die Glücklichen.« Er lächelte mir aufmunternd zu. »Bis morgen.«
Ich sah ihm nach, wie er zur Tür ging und auf die Straße trat. Sobald er verschwunden war, riss ich mein Handy aus der Tasche und tippte mit zitternden Fingern Slibulskys Nummer. Als Erstes hörte ich Kneipenlärm, dann Slibulskys fröhliche Stimme: »Hey, wann kommst du endlich?«
»Wo ist Deborah?«
»Äh, warte mal… Hinter der Theke, Flaschen aufmachen. Willst du sie sprechen?«
Ich sackte erleichtert zusammen. »Nein, nein, schon gut. Fehlt sonst irgendjemand am Tisch?«
»Nö. Nur der Superschriftsteller ist gerade mit ’ner Kleinen raus, wahrscheinlich zum Fummeln, der geile Bock.«
»Ach, du Scheiße.«
»Warum? Ich bin froh. Der Typ hat nacheinander Lara, Deborah, Tugba und dann noch irgendwelche Mädels am Nebentisch angemacht. Sehr unangenehm. Der will’s heute Abend wissen. Jetzt hat er eine gefunden, ist doch schön.«
»Kannst du bitte schnell nach draußen gehen und gucken, ob er noch da ist.«
Eine Tür ging auf und zu, der Kneipenlärm verstummte, dann wieder Slibulsky: »Tja, die scheinen sich irgendein Eckchen gesucht zu haben.«
»Okay. Ich bin gleich da.«
Ich schob das Handy in die Tasche und winkte dem Kellner. »Einen doppelten Korn, bitte!«
13
»Ich weiß auch nicht, auf einmal stand sie bei uns am Tisch. Achtzehn, neunzehn, würde ich schätzen. Ziemlich aufgedonnert – feuchter Lippenstift, sexy Hippiekleidchen, bunte Plateau-Schuhe – und ’n Buch in der Hand. Von deinem Monsieur-Isch-liebe-die-Frauen.«
»Hat er das gesagt?«
»Er hat ’ne Menge so ’n Scheiß gesagt.« Slibulsky seufzte. »Vor allem, nachdem er was getrunken hatte.«
»Alkohol?«
»Ja«, sagte Deborah. Sie stand hinter der Theke und wischte die Spüle. »Dabei hat er nicht aufgehört, uns zu erzählen, dass er eigentlich nie trinken würde. Aber bei dem Zug, den er draufhatte. Fast ’ne ganze Flasche in ’ner halben Stunde. Ich wette, der ist so ’n Alle-paar-Monate-Vollsuff-Typ.«
Tugba räusperte sich. »Er hat überhaupt ’ne Menge geliebt. Die Türkinnen: mich. Die Jüdinnen: Deborah. Das Schmuckhandwerk: Lara…«
»Aber ob das Schmuckhandwerk ihn liebt«, brummte Benjamin mit halb geschlossenen Augen. »Daraufhin hat er erst mal beleidigt die Klappe gehalten und sich dann an die Boutiquen-Tussis vom Nebentisch gewandt. ›Ich liebe Kleider!‹ Also, ich bin jetzt ziemlich blau, aber der war noch viel blauer.«
»Na ja«, nahm Slibulsky den Faden wieder auf. »Und dann stand eben plötzlich Titti-Maus vor ihm, hat sich als Fan ausgegeben und wollte eine Widmung ins Buch. Natürlich ist der abgegangen wie ’ne Rakete. Ehrlich gesagt…« Slibulsky warf einen kurzen Blick zu der Bank, auf der Lara eingeschlafen war. »Wenn ich ’n Buch geschrieben hätte und plötzlich so ’n Fan vor mir stehen würde – also, ich kann schon verstehen, dass das ein großer Schriftstellermoment ist.«
»Allein die Schuhe«, brummte Benjamin mit inzwischen ganz geschlossenen Augen, »mit so Pril -Blumen drauf – wow!«
»Zahlen, bitte«, rief ein Mann in der Ecke. Er und seine weibliche Begleitung waren die letzten Gäste.
Eine Stunde später lagen Deborah und ich im Bett. Während ich ihr die Ereignisse der letzten Tage in groben Zügen beschrieb, fielen ihr die Augen zu, und am Ende war ich sicher, sie schlief. Doch plötzlich sagte sie mit geschlossenen Lidern und mit vom Wein belegter Stimme: »Was fiel dir ein, ihm den Mord in die Schuhe zu schieben?«
Und auf einmal lag ich neben Scheich Hakim.
Ich dachte noch mal über den Moment nach, als ich Abakays Brust mit dem Messer bearbeitet hatte. Und an den,
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