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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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kleine Lieferwagen wieder ein. Und wenn das Mädchen dazugehörte? Ich hatte sie auf höchstens vierzehn geschätzt, allerdings aus zehn Meter Abstand und im schwachen Licht der Straßenlaterne.
    »Wissen Sie, was ich gerne begreifen würde? Warum Sie sich für eine kleine Drecksau wie Abakay so ins Zeug legen. Ich habe gehört, Sie bessern Ihre Predigerkasse mit Heroingeschäften auf, und ich kann mir gut vorstellen, dass Abakay als Schmuggler oder Dealer eine gewisse Hilfe ist – aber ein wirklich wichtiger Mann? Sie sind doch nicht so naiv, einem wie Abakay zu vertrauen.«
    Er verzog keine Miene, nur sein Blick wurde ein wenig nachdenklich.
    »Und als Geistlicher… Ich meine, Abakay schickt Minderjährige auf den Strich. Ist das im Sinne des Herrn?«
    In dem Moment klingelte sein Handy. »Entschuldigen Sie.« Er zog es aus der Hosentasche, klappte es auf und sagte: »Ja?« Dann sagte er eine Weile nichts mehr, schließlich nur: »In Ordnung«, schloss das Handy und legte es auf den Tisch. Ich war mir sicher, dass am anderen Ende der Verbindung türkisch gesprochen worden war und Hakim nur für mich auf Deutsch geantwortet hatte. Ich sollte mitkriegen, wie er kurze Telefonate führte, bei denen ihm über irgendwas – eine genau geplante und nun anlaufende Aktion? – berichtet wurde.
    Ich merkte, wie mein Mund trocken geworden war, und trank einen Schluck Wasser. Sollte ich Deborah anrufen? Slibulsky? Durfte ich Hakim zeigen, dass es ihm gelang, mir Angst zu machen?
    Ehe ich mich entschließen konnte, sagte er: »Erstens ist Erden Abakay mein Neffe. Haben Sie Familie, Herr Kayankaya?«
    Ich trank noch einen Schluck. »Gestern habe ich von einem Halbbruder erfahren. Wahrscheinlich das Ergebnis eines Seitensprungs meines Vaters.«
    Er schenkte mir nun nicht einmal mehr sein hüstelndes Lachen, sondern verzog nur kurz den Mund wie über ein vorwitziges Kind.
    »Zweitens: Erden hat den Mann nicht umgebracht, schon gar nicht mit einer Nadel fein zwischen die Rippen ins Herz. Vielleicht mit einer Pistole, oder er hätte ihm den Schädel eingeschlagen. Das wissen Sie so gut wie ich. Und eins ist ganz sicher nicht im Sinne des Herrn: einem Unschuldigen einen Mord anzuhängen.«
    »Unschuldig ist kein Wort, das mir zu Abakay einfallen würde. Unter uns: Eins der Mädchen, das er anbot, war höchstens zwölf – das schockiert mich mehr als der Tod eines Freiers, der so ein Mädchen missbrauchen wollte.«
    »Interessant. Sie stellen also Ihre eigenen Regeln über die der Allgemeinheit, wissen besser, was Recht und Unrecht ist?« Diesmal mischte sich echtes, leicht hämisches Vergnügen in sein Lächeln. »So was nennt man einen Fanatiker, nicht wahr? Tut mir leid, Herr Kayankaya, aber wir sprechen hier nicht über moralische Ansichten, sondern über festgeschriebene Gesetze und eine langjährige Gefängnisstrafe.«
    »Ich dachte, meine Behauptungen seien vor Gericht unhaltbar. Wahrscheinlich kommt Abakay mit ein paar Jahren davon.«
    »Schwach, ganz schwach – so kann man nicht argumentieren. Sie wollen meinem Neffen, weil Sie ihn nicht mögen, einen Mord anhängen, Punkt.«
    Ich sagte nichts. Es gab nichts zu sagen. Der Scheich hatte recht.
    »Außerdem kann man immer das Pech haben, an einen Richter zu geraten, bei dem die Vorurteile schwerer wiegen als die Tatsachen. Ich weiß, Sie möchten das gerne vergessen, aber für viele von denen bleiben wir einfach nur Türken.«
    »Ich vergesse es nicht, Scheich, aber ich richte mich nicht danach. Wissen Sie, warum Sie Abakay aus dem Gefängnis holen müssen?«
    »Wie gesagt, weil er unschuldig ist und der Sohn meiner Schwester.«
    »Nein, weil er Sie erpresst. Wenn Sie ihn nicht rausholen, lässt er Sie und Ihre Drogengeschäfte hochgehen.«
    Erneut klingelte sein Handy. Hakim hielt es ans Ohr, hörte eine Weile zu, murmelte dann irgendwas auf Türkisch, klappte es zusammen und schob es in die Hosentasche. Dann beugte er sich zu mir über den Tisch und sagte leise: »Hören Sie mir gut zu: Die Lage hat sich verändert, wir haben eine Geisel. Wenn Sie bis morgen Abend Ihre Aussage gegen Erden nicht zurückziehen, beginnen wir, ihr Körperteile abzuschneiden: Zehen, Finger, Ohren und so weiter. Wenn Sie die Polizei verständigen, verschwindet die Geisel für immer. Haben Sie meine Nummer von meinem Anruf gestern noch auf Ihrem Handy?«
    Ich hörte mich mit tonloser Stimme antworten: »Ja.«
    »Gut. Ich erwarte Ihren Anruf morgen. Die Polizei ist manchmal etwas langsam. Bis

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